zorneskalt: Thriller (German Edition)
glauben, nicht wahr? Aber das mussten sie. Wenn ich nur einen einzigen Menschen überzeugte, genügte das, und ich beschloss auf der Stelle, dass dieser Mensch Jake sein solle.
» Hast du jemals etwas ganz sicher gewusst?«, fragte ich ihn. » Ich meine, hast du’s in den Knochen gespürt, eine unwiderlegbare Gewissheit gehabt? Manchmal scheint etwas unmöglich zu sein. Aber man weiß es einfach. Und ich weiß, dass Clara lebt.«
Ich wartete darauf, dass er mir den Arm tätschelte, ihn berührte, um » Na, na« zu sagen. Ein mitleidiger Blick. Die arme Rachel kann die Wahrheit nicht ertragen. Stattdessen sah er mich unverwandt an, als fessele ihn, was ich erzählte, als habe ihn nie jemand oder etwas mehr interessiert als in diesem Augenblick. Dann holte ich tief Luft, denn ich war im Begriff, ins kalte Wasser zu springen.
» Sie ist irgendwo dort draußen«, sagte ich und sah in seinem Gesicht, dass er sich fragte, warum diese Überzeugung mich nicht zu trösten, sondern eher zu ängstigen schien.
» Ich glaube, sie hat es auf mich abgesehen.«
Er hörte mir schweigend zu, so lange, Clara, dass es mir fast das Herz brach. Er glaubte mir. Es gab nicht den geringsten Zweifel, keinen Versuch, mich vom Gegenteil zu überzeugen. Ich erzählte ihm, was du getan hattest, wie du davon übergeschnappt warst. Ich schilderte ihm, wie du mich beschuldigt hattest und wie ich mich nach deiner Rückkehr vergeblich bemüht hatte, die Kluft zwischen uns zu überwinden. Und ich erklärte ihm, wie mir bewusst geworden war, dass du deine Ressentiments tief in deinem Inneren gespeichert hattest, um sie eines Tages herauszulassen und Rache zu üben.
Natürlich waren dreihundert Polizisten unterwegs, um dich zu suchen, Clara. Dein Gesicht war jetzt so bekannt, dass es dir schwerfallen würde, dich zu bewegen, ohne erkannt zu werden. Aber Jake zweifelte meine Theorie nicht an. Er fragte nicht, wie es möglich sein sollte, dass du wie ein Gespenst durch die Schatten geschlüpft warst. Wie ich wusste er, dass alles möglich war.
Warme Erleichterung erfasste mich, und ich hätte am liebsten geweint. Mir erging es wie mit einem dieser Geheimnisse, die man hütet und mit niemandem teilen will – bis man’s dann doch tut und sich fragt, wovor man sich gefürchtet hat, wenn ein Bekenntnis eigentlich so schön sein kann. Plötzlich ist man nicht mehr allein.
Ich fuhr mir über die Augen, und Jake legte den Arm um mich. » Ich habe Angst«, erklärte ich ihm.
Und das war wahr. Du hattest schon so viel zerstört, Clara, aber du konntest noch viel mehr Schaden anrichten.
Er zog mich ganz allmählich an sich. In seinen Armen brauchte ich keine Angst zu haben, denn sie waren stark, und ich war geschützt, sicher. Ich fühlte seinen Atem, vom Wein süß und heiß auf meinem Gesicht, spürte ein Kribbeln, wo sein Haar mein Gesicht streifte. Wir sahen uns an, und es war zwischen uns da, so offensichtlich, dass wir’s nicht länger ignorieren konnten, und dann spürte ich seine Lippen warm und samtweich auf meinen und wich nicht zurück. Nicht, als seine Küsse auf einer Halsseite tiefer gingen, nicht, als seine Finger meine Bluse aufknöpften, nicht, als seine Hand meine Brust umfasste. Ich wich nicht zurück. Ich war warm und lebendig und drängte mich an ihn, wie um mit ihm zu verschmelzen. Und als er dann viel später in mir war, wünschte ich mir, er bliebe ewig dort, weil wir so gut zusammenzupassen schienen, aber vor allem auch, weil alles andere verschwand, solange ich so mit ihm dalag.
Ich weiß, was du denkst, Clara, dass das alles so falsch, so völlig falsch, ein solcher Verrat an Jonny gewesen wäre. Aber es war kein wirklicher Verrat an ihm. Weil ich Jonny so sehr liebte, weil er ein so ungeheures, gähnendes Loch in mir hinterlassen hatte, musste ich es irgendwie ausfüllen, sonst wäre ich gestorben. Verurteile mich also nicht, bevor du in meiner Lage gewesen bist. Ich war wahnsinnig vor Trauer.
Unter der Decke, die Jake aus dem Schlafzimmer geholt hatte – angenehm kühl auf unseren erhitzten Körpern –, waren unsere Beine miteinander verschränkt. Wir aßen Chips und tranken Gin, weil ich sonst nichts Trinkbares mehr im Haus hatte.
Jake warf heimlich einen Blick auf seine abgelegte Uhr. » Der Zwischenstand muss jeden Augenblick kommen«, erklärte er mir.
Ich wollte nicht, dass du in mein Wohnzimmer einbrachst, dass du uns störtest. Ich wollte nicht, dass unsere kleine Blase der Zweisamkeit platzte. Trotzdem war ich
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