Zu seinen Füßen Cordoba: Historischer Roman (German Edition)
auszustrecken, und keiner würde stark genug sein, sie festzuhalten. Unausbleiblich aber wäre das Verderben!
Dem zu begegnen gab es nur ein Mittel: Hischam musste auf den Thron erhoben werden, ehe Hakam die Augen schloss.
Aber wer leitete für ihn die Geschäfte?
Subeiha? Ein Weib. Moßchafi? Ein Schwächling. Ghalib? Ein Krieger, der niemals Hofluft geatmet hatte. Zudem mit Moßchafi zerstritten. Muhammad as-Salim? Ein kleinlicher Pedant. Gut zur Entscheidung in Einzelfragen, doch ohne Überblick über das große Ganze.
Würde nicht die Schwäche einer solchen Regierung die Feinde heranlocken wie Honig die Wespen? Würden nicht selbst die Ungläubigen des Nordens (gelobt sei Allah, der sie in ewigem Hader sich selbst zerfleischen ließ!) mit einem Mal ihre Zänkereien vergessen, wenn sie so großen Gewinn witterten, der so leicht zu erlangen war? Und die Fatimiden? Einmal schon, zu Abderrachmans Zeiten, hatten sie zum Sprung auf Andalus angesetzt, aber der alte Löwe hatte die Tatze erhoben und sie verscheucht, sodass sie sich andere Gebiete zur Beute erwählt hatten. Doch wer bürgte dafür, dass nicht ihre Spione ihnen zu wissen gaben: »Jetzt ist es Zeit!« Wer bürgte dafür, dass nicht sogar die Söhne des Idris mit ihren ehemaligen Feinden gemeinsame Sache machten, sie, die immer noch untätig in Cordoba saßen und auf ihre Stunde warteten?
O Andalus, du Perle unter den Ländern der Erde! In deinen Moscheen strömen die Jünglinge aus aller Welt zusammen, um ihren Wissensdurst zu stillen, aus deinen Werkstätten gehen Kunstwerke hinaus, die ihresgleichen suchen. Bücher stapeln sich auf, nicht nur im Palast des Kalifen, sondern im Hause jedes gebildeten Mannes, zu dessen Ruhm ein Vers, den er aus dem Stegreif spricht, ebenso beiträgt wie eine großherzige Tat. Doch wie hatte Merwe gesungen?
»Und wenn die Muschel, vom Sturm an die Klippe geworfen,
zerklirrt -
wer schützt die Perle davor, dass sie zertreten wird?«
Nein, weit und breit sah Abu Amir keinen, der dieses Schutzes fähig gewesen wäre.
Keinen?
Einmal im Monat musste Abu Amir dem Kalifen Rechnung legen über die Verwaltung des Vermögens seines Sohnes. Seit Hakams Krankheit nahm Subeiha diesen Bericht entgegen. Dazu war Tag und Stunde festgelegt, und sie pflegte den Höfling im kleinen Arbeitsraum des Kalifen zu erwarten, den dieser seit seiner Krankheit nicht mehr benutzte. Hier saß sie, umgeben von einer Schar ihrer Dienerinnen, und hörte sich Abu Amirs Vortrag an, hatte hie und da eine Frage, eine Anweisung, die von guter Denkfähigkeit zeugte, knüpfte nach Erledigung der geschäftlichen Dinge ein Gespräch mit ihm an und unterließ es nie, ihm zum Abschied die Hand zum Kuss zu reichen. Aber noch niemals hatte sie mit ihm unter vier Augen gesprochen.
Deshalb war er überrascht, sie diesmal zu der gegebenen Zeit allein anzutreffen.
Als er sah, dass sie ohne Begleitung war, blieb er ehrerbietig an der Türe stehn. Aber ohne ein Wort zu sprechen, winkte sie ihn zu sich heran. »Du siehst mich verstört«, sagte sie. »Hischam ist verschwunden.«
Er sah sie entgeistert an.
»Ich habe meine Dienerinnen ausgeschickt, ihn zu suchen. Ich vergaß völlig, dass ich dich zu erwarten hatte.«
Wie gut sich das trifft, dachte Abu Amir, und er sagte: »Willst du anhören, Fürstin, was nur für deine Ohren bestimmt ist?«
»Ich will«, antwortete sie, »aber hier nicht. Dort, wo uns niemand stört. Ich glaube, es ist sehr notwendig, dass wir uns verständigen.«
Sie schlug einen Vorhang zurück und trat in einen andern Raum, der leer war bis auf ein paar Truhen, die an den Wänden standen. Die Wände waren mit brokatseidenen Tapeten ausgekleidet, deren Muster sich in tausend Verschlingungen fortsetzte. So kunstvoll es war, hatte Abu Amir doch kein Auge dafür, bis er sah, dass Subeihas Hand leicht über die Tapete strich, die plötzlich nachgab, und eine kleine Tür sich öffnete.
»Komm«, sagte sie und trat in ein fensterloses Stübchen, das von einem einzigen Öllämpchen beleuchtet und mit Büchern und Schriften aller Art vollgestopft war. »Hierher zieht sich der Kalif zurück, wenn er ungestört sein will. Keiner kennt diesen Raum, auch ich entdeckte ihn erst kürzlich.«
Sie lehnte sich an die Wand, sprach stehend weiter und forderte auch Abu Amir nicht zum Sitzen auf.
»Mir ist bange, Abu Amir. Ich habe nachts so schwere Träume. Ich fürchte, es bereiten sich schreckliche Dinge vor. Jeder sieht mich an, als dächte er: Du
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