Zu zweit tut das Herz nur halb so weh
dem
Lift. Beinahe wäre das Feuerzeug ebenfalls dort gelandet, aber so ein Feuerzeug
kann man auch in anderen Situationen gebrauchen.
Zum Beispiel, wenn ich eine Zigarette aus einer der beiden
Packungen, die ich im Koffer verstaut hatte, anzünden wollte. Nein, an die
sollte ich jetzt nicht denken, und die würde ich auch nicht fortwerfen.
SchlieÃlich hatte ich gutes Geld dafür bezahlt. Das fast leere Päckchen
wegzuwerfen war eine Sache, auf kalten Entzug zu gehen â zumal ich noch
Hunderte Kilometer in den nächsten Tagen fahren musste â eine ganz andere.
NEUN
ISABELLE , 1939
Plötzlich ermunterte Mutter mich, mich sonntags in der
Kirche mit den Jungen zu unterhalten. Ich war mehr als verwundert, denn bisher
durfte ich mich nur zu den Mädchen gesellen. Nach dem Gottesdienst tat sie so,
als wäre sie in ein Gespräch mit den anderen Frauen vertieft. Aber ich ertappte
sie dabei, wie sie mich beobachtete, um festzustellen, ob ich einem Jungen besondere
Aufmerksamkeit schenkte. Als ich einen an die Sommerlektüre erinnerte,
marschierte sie sofort auf uns zu und lud ihn für den Abend auf ein Eis zu uns
nach Hause ein. Daddy musste die Eismaschine anwerfen und das Eis hacken,
während sie sich ausnahmsweise in die Küche begab, um Sahne, Zucker, Eier und
Vanille anzurühren.
Der Junge kam zu früh. Daddy drehte mit einem belustigten Grinsen am
Griff der Eismaschine, während ich mich um ein Gespräch mit Gerald bemühte, der
bis unter die Haarspitzen rot wurde, wenn ich ihn nur ansah.
»Hey, Gerald«, rief Patrick von der Veranda aus. »Geh ja anständig
mit Bitty-Belle um, ja? Keine Sperenzchen, kapiert? Sonst kriegst duâs mit mir
und Jack zu tun â¦Â«
Daddy bedeutete Patrick den Mund zu halten, aber meine Brüder bogen
sich vor Lachen.
Gerald wurde noch röter. Beschämt über die Unhöflichkeit der beiden,
versuchte ich ungeschickt, ihm zu helfen.
»Gerald«, sagte ich. »Wie beurteilst du die Situation in Europa?«
Ich hatte während des ganzen Nachmittags in der Sonntagszeitung
gelesen, um zu verstehen, was auf der anderen Seite des Ozeans geschah.
Er hatte keine Ahnung von den Ereignissen in Europa, redete jedoch
geschlagene zehn Minuten â ohne mir auch nur einmal in die Augen zu sehen â
über die neu eröffnete Baseball Hall of Fame in New York, die er besichtigen
wollte. Daddy zwinkerte mir zu, als ich tiefer in meinem Liegestuhl versank.
Ich fragte mich, wer zuerst sterben würde: Gerald, weil er zwischen den Sätzen
keine Luft holte, oder ich aus Langeweile. Im Vergleich zu ihm wirkte der nur
ein Jahr ältere Robert wie ein erwachsener Mann.
Als Mutter aus dem Haus kam, wandte Gerald sich sofort ihr zu und
wehrte auch erfolgreich all ihre Versuche ab, ihn wieder ins Gespräch mit mir
zu bringen. Er schwärmte, wie gut ihr Eis sei, und behauptete, er habe nie
besseres gegessen, obwohl wir alle wussten, dass sie die gleichen Zutaten
verwendete wie jeder in der Gegend. Als er endlich ging, hatte er einen Fleck
am Ãrmel, weil er sich damit den Mund abgewischt hatte.
»Mutter«, flehte ich. »Bitte, lad ihn nie wieder zu uns ein! Das war
schrecklich.«
Sie seufzte. »Ja, eine sonderlich geglückte Verabredung war das
nicht gerade.«
Ich hörte wohl nicht richtig? Verabredung? »Das war keine Verabredung.
Die arrangiere ich selbst, vielen Dank.«
Sie tätschelte lächelnd meine Schulter. »Mutter weià am besten, was
gut für dich ist, meine Liebe.«
Daddy schüttelte den Kopf, als sich unsere Blicke trafen, und ich
floh ins Haus, wo ich so tun konnte, als würde ich lesen, während ich meinen
eigenen Gedanken nachhing.
Meine Bücher â nun manchmal nur halb gelesen â gab ich jeden
Mittwochnachmittag in der Bibliothek ab und kam, kurz bevor sie schloss,
zurück, um neuen Lesestoff zu holen. Diese Veränderung erstaunte Miss Pearce.
Sonst hatte ich im Sommer immer Stunden dort zugebracht, die Ellbogen auf einem
Tisch abgestützt, weil ich es gar nicht erwarten konnte, mit dem Lesen
anzufangen. Bis dahin waren Bücher mein einziger Trost und meine besten Freunde
gewesen.
Ich erzählte Miss Pearce, ich müsse jetzt mittwochs immer etwas
erledigen, es sei zu heiÃ, die Bücher mitzuschleppen. Dass ich einen Freund
hatte, der nicht in dem Gebäude willkommen gewesen wäre, verriet ich ihr
natürlich nicht.
Mit
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