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zuadraht

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Titel: zuadraht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kopacka
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Seerestaurants, kennt mich. Ich bin ja öfter hier und meistens verbinde ich den Ausflug nach Thal mit einem Mittagessen. Die Blutwurst ist hier besonders gut, muss wohl von einem speziellen Fleischhauer geliefert werden. Mein Interesse an dessen Identität war bisher aber nie groß genug, dass ich danach gefragt hätte. Heute ist ein guter Tag, ich fühle mich schon vor der Begegnung mit meinem Kraftort wohl und heute frage ich auch erstmals wegen der Blutwurst. Stefan sagt, er wisse es nicht genau, Fleischbestellungen seien Chefsache. Er vermute aber, dass die Blutwurst, wie alles andere vom Tier, vom Fleischhauer Scherzer aus Gratkorn käme. Gute Ware, sage ich und nicke. Stefan nickt zurück. Smalltalk nennt man das, wohl eine amerikanische Erfindung, weil es ja kein deutsches Wort dafür gibt, und ich hasse so etwas normalerweise. Weil es nichts anderes als Geschwätzigkeit ist.
    Zeitverschwendung. Aber heute macht es mir Spaß. Stefan hebt die Augenbrauen und wundert sich. Er versucht sogar ein vorsichtiges Lächeln, aber ich lächle nicht zurück. Man soll nichts übertreiben. Zum Glück ist die Bank unter der Linde an meinem Kraftort frei. Eigentlich ist sie meistens frei, wenn ich komme. Auch wenn der Tag schön ist und es viele Menschen an den See zieht. Ich habe schon beobachtet, dass Leute rasch aufgestanden und weggegangen sind, wenn ich mich der Bank genähert habe. Irgendetwas muss es geben, das den Platz für mich reserviert. Von diesem Ort hast du keine Ahnung, Schleimi. Für solche, wie du es bist, ist er auch nicht bestimmt. Du könntest hundertmal hierher kommen und du würdest nichts spüren. Absolut gar nichts. Wahrscheinlich würdest du dir nur einen Sonnenbrand holen. Oder einen Schnupfen, wenn du im Herbst hier säßest. Dein Kraftort ist der Fußballplatz. Tausende kreischende Nullen und du. Die große Sturm-Graz-Familie. Das ist deine Geborgenheit. Dort fühlst du dich wohl.
    Ich gebe zu, dass ich früher auch dabei war. Nicht so fanatisch wie du, Schleimi, aber die Sportplatzbesuche haben auch mir das Gefühl gegeben, irgendwo dazuzugehören. Damals habe ich noch geglaubt, dass man nur in der Masse stark sein kann. Jetzt weiß ich: Genau das Gegenteil ist der Fall. Wirklich stark kann man nur sein, wenn man alleine ist. Wenn man sich nur auf einen einzigen Menschen verlassen kann – sich selbst. Ich freue mich schon auf dich, Schleimi. Du wirst überrascht sein, mich zu sehen, und ich werde dir einen Hofer vorgaukeln, mit dem du wahrscheinlich sogar Mitleid haben wirst. Resignation statt Ehrgeiz. Trauer über das Verlorene, aber kein Hass mehr. Ein Schweifwedler, der angehechelt kommt, um wieder in die Sturmfamilie aufgenommen zu werden. Und irgendwann wirst du reden, mir über deinen großen Fall berichten. Ich werde es dir ganz leicht machen, den Überlegenen zu spielen. Du wirst singen wie eine Nachtigall und ich werde nicht müde werden, deinen Gesang zu loben.
    Ruine Gösting, Mittwochmittag
    Ein anderer Platz, den ich immer wieder gerne besuche, ist die Ruine Gösting. Am Rande von Graz gelegen und von der Straße, die nach Thal führt, nach einem kurzen Fußmarsch zu erreichen. Kein Kraftort, wie die Wiese am Schwarzeneggersee, aber doch ein Platz zum Nachdenken. Hier, hoch oben über der Stadt, sind in früheren Zeiten Soldaten gestanden und haben nach Feinden Ausschau gehalten, die das Leben der Grazer vernichten wollten. Bis zum Match sind es noch zweieinhalb Stunden, genügend Zeit für den kurzen Aufstieg. Schnelle Schritte, kurzer Atem.
    Der Schweiß. Das Hemd klebt am Rücken, die Haare sind patschnass. Nachts bin ich die Straße schon hochgefahren. Ganz langsam, ohne Licht. Es ist eine Privatstraße und sie ist für den öffentlichen Verkehr gesperrt. Man muss nur an den wenigen bewohnten Häusern am Fuße des Berges unbemerkt vorbeikommen, weiter oben wohnt keiner mehr. Wenn du den Motor nicht aufheulen lässt oder versehentlich auf die Hupe drückst oder die Scheinwerfer aufblitzen lässt, bemerkt dich niemand. Das nächtliche Hochfahren hat keinen wirklichen Zweck gehabt. Das bisschen Nervenkitzel vielleicht, das mit dem Verbotenen verbunden war. Und den Blick auf die Lichter von Graz.
    Die Ruhe, die absolute Ruhe. Nur das Rauschen des Windes in den Blättern. So kurz ist der Weg nach oben gar nicht, wenn man zu Fuß unterwegs ist. Vor allem, wenn der Tag heiß und man nicht wirklich in Form ist. Vor der Taverne stehen ein paar Tische und an den Tischen sitzen zwei

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