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zuadraht

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Titel: zuadraht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kopacka
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haben, vereint hat es uns aber nie. Smalltalk, nur etwas Smalltalk. Und sein Gesicht. Die absolute Ahnungslosigkeit. Ich muss sie live erleben, und ich kann es kaum erwarten.
    *

Mittwoch. Mittagszeit. Mahlzeit.
    „Fällt das unter den Begriff Déjà-vu, wenn ich gestern mit dem geistigen Auge gesehen habe, was ich mit wem heute und hier esse?“, fragte ich und schnitt in den faschierten Braten, den besten, der zu kriegen ist, außer vielleicht beim Bertl in der Theaterstubn, aber der ist ja mehr für in der Nacht, wenn ihn die Vögel heimsuchen nach einer frischen Leiche. Daher bleibt also, um diese Zeit, nur der Meinhart in Wenisbuch. Einmal mehr.
    Bela lachte ihr erfrischendes Psychohexenlachen. „Er ist in Lauerposition“, sagte sie. „Erst der Dreifachschlag binnen eineinhalb Tagen und jetzt seit. . . seit. . . lass mich nachrechnen . . . seit dreiundsechzig Stunden nichts. Gar nichts. Die Geschichte mit dem Klassensprecher, diesem Alexander Weinberger . . . der reinste Reinfall. Der alte Geier hat keinen Kontakt zu seinen Exschülern gehabt. Sonst hätte er wohl erkannt, dass nicht der echte Weinberger vor ihm steht.“
    „Wer sich per Autounfall verabschiedet und seit acht Jahren tot in der Kiste liegt, hat ein lückenloses Alibi.“
    „Eben. Aber wer weiß, ob ihn die Erkenntnis vor seinem Schicksal bewahrt hätte. Wir treten auf der Stelle. Das war kaum zu übersehen bei der Morgenbesprechung, findest du nicht?“ Ich schnitt, kaute und brummte zustimmend.
    „Was auch immer das Motiv sein mag, Ferri“, hob sie erneut an. „Hass auf Politiker, die Abrechnung einer jahrelangen Feindschaft, erlittene Schmähungen, die Vernichtung von Gegenspielern, egal, die Sache mit der Blamage für die Polizei spielt da mit rein. Serienmörder wollen sich durch ihre Untaten erhöhen. Dazu gehört auch, dass sie jede Quelle nutzen, um über sich selbst etwas zu erfahren.“ Sie spürte das Fragen meiner Augen. „Zeitungen, Fernsehen, Radio, Internet“, setzte sie nach. „Solche Menschen beobachten sehr genau. Auch, oder: gerade die Ermittlungen der Polizei. Sie suhlen sich in unserem Unwissen. Ich kann mir nicht helfen: Diese Morde sind auch gegen uns gerichtet.“
    „Gegen dich persönlich wohl kaum“, sagte ich.
    „Gegen mich persönlich nicht“, spann sie den Gedanken mit langsamen Worten wie einen roten Wollfaden, den es behutsam zu entwirren galt, fort. „Aber wie wäre es mit. . . einem von euch?“
    „Theoretisch.“
    „Natürlich. Theoretisch.“
    „Sollte man mal andenken“, sagte ich. „Ich werd mit den Kollegen darüber reden. Heute Abend treffe ich die meisten ohnehin im Kieberersektor.“
    „Kieberersektor?“
    „Fußball“, sagte ich. „Die Schwarzweißen gegen die Grünweißen. Pflichttermin. Sturm Graz gegen Rapid im Schwarzenegger Stadion. Morde hin, Morde her. Da gehen fast alle hin. Heut gibt‘s Prügel für die Wiener. Auf dem Rasen natürlich.“
    „Männerspielchen“ sagte Bela und setzte ein wissendes, erhabenes Lächeln auf, als habe sie den Fußball im Allgemeinen und dessen Freunde im Speziellen schon unzählige Male durch ihre Gedankenmühle gedreht. „Heute bezahle ich. Keine Widerrede.“
    *

In der Küche, Mittwochvormittag
    Schlaf, ich brauche kaum noch Schlaf. Der Beruf des Nachtwächters verwandelt den Menschen. Zu Beginn dieser Tätigkeit hatte ich Mühe, meine Augen eine ganze Nacht lang offen zu halten. Ich weiß noch, dass ich manchmal im Auto eingenickt bin und aus Angst, dadurch den Job zu verlieren, sogar einen Wecker auf dem Beifahrersitz liegen hatte, den ich stets so gestellt habe, dass er stündlich klingelte. Im Laufe der Zeit bin ich aber zu einem nachtaktiven Wesen mutiert. Ich hatte das Gefühl, eine Fledermaus zu sein. Hellwache und aktive Nächte. Selbst wenn ich gewollt hätte, wäre es mir nicht mehr möglich gewesen im Dienst einzuschlafen. Das habe ich dafür bei Tag umso tiefer getan. Ich habe bis weit in den Nachmittag hinein geschlafen, dann meine Einkäufe getätigt und mich dabei schon auf die Nachtstunden gefreut, während der mein Gehirn immer klarer wurde.
    Seither habe ich nachts mein ganzes Leben durch die Gedankenmühle gejagt, versucht, mich an die wesentlichen Details zu erinnern und plötzlich war ich in der Lage, Zusammenhänge zu erkennen, die jetzt bisher Unverstandenes oder nie Gedachtes verständlich machen. Heute weiß ich, welche Rolle mein Vater für mich tatsächlich gespielt hat, wie sehr er in mein Leben eingegriffen

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