zuadraht
uns um halb zwölf zur ersten Lagebesprechung. Ich übernehme die Witwe Klausberger. Ich meine, die Verständigung. Das freut sowieso keinen. Und ich kann ihr gleich ein paar Fragen stellen. Oder hast du Lust?“
Kurzes Kopfschütteln.
„Und vergesst mir die Bettler nicht. Und die Fetzentandlerin, du weißt schon, die Tuchverkäuferin, vorne auf der Tegetthoffbrü. . .“
„Ich weiß“, fuhr Kurz dazwischen. Seine Stimme klang gereizt. „Man weiß nie.”
Ich bahnte mir den Weg durch die Menge der Gaffer und wollte zurück zu meinem Wagen, entschied mich jedoch anders und marschierte über den Joanneumring zur Pestsäule am Eisernen Tor. Ein kleines Frühstück in einem der Straßencafes in der Herrengasse würde gut tun. Auch wenn sie mir unverschämt viel Geld dafür abnähmen. Die ersten Sonnenstrahlen würden gerade über die Dächer hereinbrechen und ich wollte mir noch ein paar angenehme Momente gönnen, ehe ich zur Witwe Klausberger fuhr. Schöne Herbstmorgen wie dieser überzogen die Stadt mit südländischem Flair. Das muntere Klingeln der Fahrradglocken; Straßenbahnen auf der Pirsch, deren Niederflurwagen geräuschlos heranschlichen; metallenes Kläcken genagelter Schuhe, die ein wallendes, schwarzes Cape in geschäftigen, männlich festen Schritten davontrugen; und als Grundton von alledem Akkordeon und Gitarre, Klänge der Provence, wie es schien, zwei Straßenmusikanten, die sich in Virtuosität verstanden, nicht aber darin, diese in mehr als das Nötigste fürs Leben umzumünzen, was ein rascher Blick in die leere Weite ihrer geöffneten Instrumentenkoffer verriet. Noch bevor ich die Herrengasse erreicht hatte und den Rauch aus dem Metallkessel emporsteigen sah, schlug mir der süßliche Geruch gebratener Maroni entgegen. Ein junges Paar ließ sich ein Stanitzel geben. Ich werde es nie verstehen, dachte ich. Maroni am Morgen, ein Bauch voller Sorgen. Der bloße Gedanke daran ließ die schrumpeligen Früchte zur amorphen Massen in meinem Mund aufquellen. Meine Backen blähten sich auf, ganz von selbst. Ein kleiner Espresso würde genügen, der postrauschale Appetit war wie verflogen.
Die Buchhandlung am Eck. Ferris elfter Geburtstag stand in wenigen Tagen an. Der Schmöker über Heraldik, den er sich so sehnlich wünschte, müsste längst da sein. Bis dahin würde Rosa mit den Kindern zurück sein. Du wirst Ferri doch nicht ohne weiteres die Schule schwänzen lassen, Rosa, oder doch? Die Hand bereits an der Glastür, wich ich wieder zurück. Private Erledigungen in der Dienstzeit, meine Herren. Mein Standardsatz, erwische ich einen. Polizeibeamte, die Versicherungen verkaufen oder den Kollegen schwindelige Pensionsmodelle andrehen, anstatt dem nachzugehen, wofür sie bezahlt werden. Nichts hasse ich mehr. Das halbe Berufsleben meines Vaters ist eine einzige private Erledigung gewesen, dachte ich. Zugbegleiter bei der Bahn, dreißig Jahre lang untätig dasitzen und warten, dass der Schaffner tot umfällt, um an seine Stelle treten zu müssen. Sonst nichts. Die halbe Zeit hat er damit zugebracht, in seinem Abteil privaten Erledigungen nachzugehen. Oder darüber nachzudenken, dass ich meinen Krankenstand in diesem Jahr noch gar nicht aufgebraucht habe. Ja, Vater, du und deine Scherze. Die haben dir zehn Jahre bezahlten Urlaubs und mit Fünfzig die Frühpension eingebracht. Dafür hasse ich dich. Auch dafür. Aber nicht alle sind wie du, Vater, und ich habe mir geschworen, wie jene zu sein, die nicht alle sind.
War nicht heute mein freier Tag? Beinahe hatte ich es vergessen. Zwar hatte der Feichtlbauer mich in Dienst gestellt, aber letztlich wäre es mein freier Tag gewesen. Und wäre dieser Stadtrat nicht zum Joggen gegangen, könnte er noch leben und ich ruhigen Gewissens diese Buchhandlung betreten. Ich würde sie betreten. Das musste drin sein. Klausberger war es mir schuldig. Auch Tote haben Schulden.
Ich ließ das Buch nur lose in Packpapier einschlagen, um beim Kaffee ein wenig darin zu blättern. Inmitten bäuerlicher, bürgerlicher und adeliger Wappen blieb ich an einer grafischen Darstellung der einzelnen Schildplätze hängen. Hüft – oder Herzstelle, stand da zu lesen. So ein Schild hätte dir auch ganz gut getan heute früh, Frank Klausberger, dachte ich. Du hast es ja bereits hinter dir, aber mir hätte es einiges erspart. Vor allem die kommenden Stunden. Wir wussten so gut wie nichts, und man würde alles von uns wissen wollen. Ich begann mir den Nacken zu reiben, als verspürte
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