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zuadraht

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Titel: zuadraht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kopacka
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mir die Vorstellung einer wohl bestallten Tochter aus gutem, nein: bestem Hause zurecht, Anfang fünfzig, blaues Blut, dachte ich und sah das adelige Einheitsgesicht vor mir auftauchen. Die Zeiten, da sich das Volk gegen überproportionale Überwucherung durch die aristokratische Kaste nur mit umstürzlerischem Schmäh zu behaupten und abzugrenzen wusste, waren passe. Zusammenrücken hieß es nun für die geschrumpfte Oberschicht, und wer glaubte, der allgemein vorherrschenden Unlust zum Kind dadurch begegnen zu müssen, weiterhin nur Seinesgleichen zu suchen und nur mit Seinesgleichen recht eng zusammenzurücken, durfte sich nicht wundern, dass alle irgendwann einmal gleich aussahen.
    Eine zierliche Gestalt Mitte dreißig öffnete auf mein Läuten. Ein Hausmädchen mit überraschend aparten Zügen.
    „Leimböck, Kriminalpolizei. Ist Frau Klausberger zuhause?“
    „Sie sprechen mir ihr. Sie wünschen?“
    Die weite Vorhalle verströmte dezente Klänge. Ambros war es nicht. „Mozart?“, fragte ich zaghaft. Musik als Einstieg, das zieht fast immer, dachte ich, da braucht es keine Absicht zum Aufriss, ein paar Takte als Vorspiel, geschickt gewählt, und schon bist du drinnen, im Gespräch natürlich – Musik und Kerzen als Begleiter in allen, nun ja, in diesem Fall nicht gerade Lebenslagen, überlegte ich weiter, aber letztlich läuft es auch hier auf ihn hinaus: den finalen Akt, bloß dass dem Klausberger Musik und Kerzen letzte Begleiter eines ungewollten Aktes sind, dem Aufriss aber das Vorspiel eines umso mehr gewollten. Und ein Vorspiel ist sie, die Musik, gewissermaßen auch hier, überlegte ich, ein gern empfangener Einstieg, der frisch gebackenen Witwe erst einmal beizubringen, was sie von nun an auf amtlichen Papieren in der Rubrik Familienstand anzukreuzen hat.
    Ein Zucken ihrer Mundwinkel, gefolgt von leichtem Anheben der Nasenflügel und Absenken der Augenbrauen, die nach innen wanderten und ihr Nasenbein in einer tiefen Falte enden ließen, verriet mir, was sie dachte. „Schumann, Sonate in g-moll, Opus zweiundzwanzig“ sagte sie spitz. „Aber deswegen sind Sie nicht hier, oder?“
    „Ich komme wegen Ihres Mannes“, sagte ich zaudernd. „Wenn Sie den suchen, der ist joggen an der Murpromenade.“ Ihr Pagenschnitt federte leicht, als sie den Kopf zur Seite warf und dabei offensichtlich auf eine Uhr außerhalb meines Gesichtsfeldes blickte. „Obwohl . . . er sollte schon hier sein.“ Aus ihren Augen blitzte gesellige Neugier, und sie schob ihren flachbrüstigen Körper in den Türstock. Ein Anflug begehrender Nahbarkeit lag in ihrem Blick.
    „Ich weiß“, entgegnete ich. „Er ist beim alten Bootshaus. Es tut mir Leid? Ich hielt kurz inne. „Er ist tot.“
    Witwe Klausberger antwortete mit erstarrendem Lächeln und einer langen Pause. „Hat ihn sein Herz im Stich gelassen?“, fuhr sie endlich fort. Sie stockte. „Sie müssen wissen, er bekam vor einem halben Jahr einen Bypass gelegt und hat erst vor zwei Monaten wieder mit dem Training begonnen.“
    „Nun ja“, zögerte ich. „Es war vielmehr ein Stich, den jemand in seinem Herzen hinterlassen hat. Er wurde ermordet.“
    „Jetzt hat er es endgültig übertrieben.“ Sie sagte es mit gedämpfter Stimme, ein geräuscharmes Spiel der Lippen, das gerade noch den Weg an mein Ohr fand.
    „Wie meinen Sie das, Frau Klausberger?“ Ich muss Sie das fragen, hätte Derrick ihr nun sonor entgegengebrummt, dachte ich. Stattdessen schwieg ich sie mit forschendem Blick an. Die bis vor wenigen Augenblicken noch herausfordernde Spannung ihrer Erscheinung war blitzschnell abgesackt. Ihre Antworten waren mit einem Mal ebenso knapp bemessen wie Bustier und Leggins, die das Relief ihres makellosen Körpers gegen das Safrangelb der hereinflutenden Morgensonne abzeichneten.
    Ich weiß nicht. Ja, andere Frauen. Nein, keine Namen. Nein, kein Verdacht. Ein wenig ergiebiger Wortrap, gleich jenen in Zeitungsinterviews oder Fernsehshows, den ich jeden Moment abzubrechen gedachte, um später noch einmal zu kommen. Die Augen auf den Boden aus weißem Ferraramarmor geheftet, schreckte sie jedoch mittendrin auf und warf mir einen verstörten Blick zu, als wäre sie soeben und unvermutet von einer langen Fahrt heimgekehrt.
    „Wir hatten ein Übereinkommen“, setzte sie langsam an, wieder in sich gekehrt. „Seit Jahren schon. Seit seiner dritten oder vierten Affäre. Meist irgendwelche Flittchen mit prallen Brüsten. Ich wollte nie wissen, wer sie waren. Das wäre

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