zuadraht
habe nach den Empfindungen gesucht, die ich dort oben hatte, aber ich habe sie nicht mehr gefunden. Emotionen wie diese lassen sich nicht konservieren. Große Momente erlebt man nur einmal, dann sind sie nur noch Erinnerung. Man kann die Fakten speichern, nicht aber die Gefühle. Nicht einmal große Dichter können sie so niederschreiben, wie sie sie tatsächlich erlebt haben.
Was geblieben ist, ist die Zufriedenheit. Exakter und sorgfältiger kann man nicht arbeiten. Sammeln, sammeln, sammeln. Ich habe alles gesammelt und dann umsichtig verteilt. Auch die dort draußen haben gesammelt, aber nur das, was ich ihnen geben habe.
*
Michelin war sprachlos und bekam das Hufeisenbartzucken, Bela verlor Gesichtsfarbe und Fassung, nicht aber den Drang zum Wort. Es müsse doch Möglichkeiten geben, rief sie mit aller jugendlichen Erregtheit und Aufgebrachtheit einer Junggedienten ins Mittagsgrau meines Paulustorbüros hinein, den Kurzen auf dem Instanzenweg zu überspringen. Nicht zum Schmiedl, sondern gleich zum Schmied zu gehen, zur obersten Dienerin, zur Frau Minister, und wenn es gar nicht anders gehe, zu den roten Brüdern, den Genossen der Gewerkschaft, die stets darauf bedacht seien, der schwarzen Liese eins überzubraten, auch wenn sie bei Feiern wie dieser (der triumphalen Aufklärung der spektakulärsten Mordserie des Landes überhaupt, wie sie sagen würden) selbst gerne in der ersten Reihe stünden. Beim Menschenschmuggel wegschauen und die Hand aufhalten, Strafgelder ins eigene Uniformtäschchen kassieren, einem Strizzi Liebesdienste seiner Damen abpressen, auf dass ihm von Amts wegen nicht das Rotlicht ausgeknipst werde, kleine und große Aufmerksamkeiten für Visa, kleine und große Geldkoffer von Drogenbaronen, all das und vieles mehr sei ja vorgekommen und, wenn schon nicht verständlich, so doch nachvollziehbar, aber es könne doch nicht sein, sagte sie, dass sich die Polizei selber schmiere und mit einem kleinen Sprung in der Gehaltsklasse und einem großen Machtwort der Politik das Schweigen der eigenen Reihen erkaufe. Bloß um den öffentlichen Druck nach einem raschen Fahndungserfolg von sich zu nehmen. Bis Michelin, der bis dahin beharrlich stillgehalten hatte, knurrte: „Vergiss es. Wenn der Schmied das Eisen fallen lässt, ist die Glut im Arsch.“
Das war mein Dilemma. Den Schwindel nicht mitzumachen und dem Hochauer, oder wem auch immer, man weiß ja nie, sagte ich, den entscheidenden Tipp zufließen zu lassen, in der Hoffnung, dass die Presse vom Kurzen aufwärts alles niederreißen würde, was sowohl Rang als auch Namen hatte und seine Hände in Schuld wusch, das gleiche der Chance, einen Sumpf mit Wasser trockenzulegen. Der Sumpf, hörte ich mich rufen, sei wie der Nebel, der durch alle Ritzen und Poren dringe (ein Scheißvergleich), weil letztlich doch eine Hand am allerliebsten die andere wasche und nur selten vor dem Blick in den Spiegel das dreckverschmierte Gesicht. Es sei denn, ich könnte den wahren Mörder liefern. Konnte ich das?
„Wir machen weiter“, sagte Michelin. „Hinter den Kulissen, im Rahmen des normalen Dienstbetriebes. Mit ein paar Vertrauenswürdigen.“
Ich nickte und lächelte. Bela fand ihren Teint wieder und lächelte ebenso. „Morgen ist ohnehin schon Freitag“, sagte sie, „ich bleibe übers Wochenende. Rein privat natürlich.“
Ich lächelte einmal mehr. Als Bela und Michelin gegangen waren, tat ich endlich, was ich längst hätte tun sollen, hätte tun müssen und aus . . . ja, aus Feigheit, muss ich jetzt und hier und nur Ihnen gegenüber gestehen, unterlassen hatte. Je länger du die Dinge vor dir herschiebst, desto kürzer die Momente des Mutes, sie abzuwickeln, Ferri, sagte ich mir, und wo der Mut fehlt, ist es zum Unmut nicht weit, dachte ich ferner, wählte die Nummer von Rosas Elternhaus, vernahm eine dumpfe männliche Stimme und entgegen allen Erwartungen, als ich mich (nach endlosem Schweigen) zu erkennen gab, ein bloßes Hinknallen des Hörers. Ein wortloses Abgehen frei von Schimpfkanonaden also, und nach einer Ewigkeit des Nichts (wie lange mussten ihm in seiner sich ständig erneuernden jungen Welt erst zwei Tage erschienen sein, wenn mich schon ein paar Minuten in unerträglicher Ungeduld zappeln ließen?) vernahm ich Ferris dünne Stimme und ein zaghaftes, fast schon ungläubiges „Papa?“
*
In der Küche, später
Das Haus habe ich seither nicht mehr verlassen. Zuerst habe ich den Keller gesäubert und alle Spuren verwischt. Nichts
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