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zuadraht

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Titel: zuadraht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kopacka
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tänzelnd. Eine jämmerliche Figur. Ich bin nicht mehr ich, jetzt bin ich Hanser, der Journalist, der Rächer. Und das MONSTER, das auf dem Papierfetzen steht, ist er, der „Thermen-Leo“ . . .
    *

Eine Nacht mit reichlich Schlaf, wenig Ambros und gänzlich ohne Jack hatte in einen Sonntagmorgen voll erschreckend nüchterner Klarheit geführt. Ich hatte noch am späten Abend die Kiste mit meinen Gedichten aus der Mittelschulzeit hervorgekramt in einem Anfall von Melancholie, den die befremdliche Leere unseres kleinen Reihenhauses jäh und mit aller Wucht über mich hatte hereinbrechen lassen. Wie sehr man vieles doch erst zu schätzen beginnt, scheint es mit einem Mal und unvermutet verloren: Lisas glockenhelles Lachen, wenn sie mit gestreckten Beinchen die Stufen hinabsprang und die zu beiden Seiten nach Manier eines Butterstriezels und von Hand geflochtenen Zöpfchen dazu rege auf – und abschwangen; Franzens verschmitztes Sommersprossenlachen, wenn ich ihm aus Kinderbüchern vorlas und er begierig an meinen trockenen Lippen hing; Ferris überschwänglicher Ausbruch von Freude, wenn er Karten fürs nächste Spiel von Sturm Graz auf seinem Frühstücksteller vorfand. Und Rosas dankbar mildes Lächeln, wenn ich einen Morgen nicht damit eröffnete, zu einem jener zahllosen Handsauger zu hetzen, die ich, den Notfalltropfen eines Kreislaufschwachen gleich, an allen strategisch wichtigen Plätzen im Haus postiert hatte, um jederzeit und allerorts einer heimtückischen Staubinvasion begegnen zu können, die womöglich im Schutz der Nacht hereingebrochen war.
    Als spätpubertären Stumpfsinn hatte Vater es abgetan, dieses Kindergeschreibsel, wie er es nannte. Hochtrabende Gedanken, wie sie jeder Heranwachsende zu Papier bringt, ohne sie in sich zu tragen. Ohne vom Leben zu wissen und ohne im Leben etwas geleistet zu haben. Schau dir deine Mutter an, Ferdinand, vom Denken und Sinnieren kannst du nicht überleben, hatte er gesagt, du solltest Stattdessen in den Staatsdienst gehen. Dort hast du notfalls auch ein arbeitsloses Einkommen. Ich hatte ihm nicht geglaubt, aber auch nicht zu widersprechen gewagt, als er unaufgefordert und in meinem Namen den Bewerbungsbogen für die Polizeischule abschickte. Damals, vor bald zwanzig Jahren.
    „Du musst Schluckauf gehabt haben gestern Nacht“, sagte ich. Ich hatte soeben das dritte Häferl Kaffee in mich gegossen, aufs zweite Läuten hin nach dem Hörer gegriffen und erstmals seit Tagen Vaters kratzbürstige Stimme in der Leitung vernommen. „Ich habe an dich gedacht.“
    „Sicher nur das Beste.“ Und er setzte unverzüglich nach mit jener Heftigkeit und Eindringlichkeit, die das kleinste Aufflammen einer Diskussion im Keim seiner Selbsteingenommenheit ersticken ließ. „Du hättest dieses widerliche Sakko nicht tragen dürfen.“
    „Hast du wieder einmal alle Zeitungsartikel ausgeschnitten, in denen mein Bild oder auch nur mein Name Vorkommen?“ „Du hättest es nicht tragen dürfen bei einer so wichtigen Pressekonferenz, hörst du? Ist Rosa nicht da, dass sie dir solchen Unsinn verbietet?“
    „Wie oft soll ich dir . . .“. Ich hatte mich blitzartig zu einem Sturm der Entrüstung gesammelt, entschied aber ebenso spontan und in einer Anwandelung von Selbstschutz, nicht näher darauf einzugehen. „Sie ist mit den Kindern bei ihren Eltern. Die haben Probleme mit den Weinbaubehörden.“
    „Haben sie wieder Sägespäne in ihr Gesöff gekippt, damit es nach Holzfass schmeckt? Was war es gleich? Buche?“
    „Eiche. Du bist und bleibst eine ignorante Schnapsdrossel, Vater. Hast du von Mutter gehört?“
    Er überspielte die Schnapsdrossel mit der gefälligen Taubheit eines Gehörlosen auf Zeit. „Warum sollte ich? Sie ruft nicht an, und ich sie schon gar nicht. Sie hat das brotlose Leben selbst gewählt, mit dem, was sie Kunst nennt, und dafür die Familie in Stich gelassen. Ich werde auf ihrem Grab tanzen.“ Vaters Hass dampfte ungebremst einher. Es gab kaum ein Gespräch, das nicht letztlich bei Mutter landete und in dem er nicht einherdampfte, dieser grenzenlose und über all die Jahre schwelende Hass. Du bist wie sie, dachte ich, die ewig Gestrigen vom Club der Alteisenbahner, mehr Alteisen als Eisenbahner, die wochenends mit ihresgleichen und deinesgleichen auf Nostalgiefahrt gehen. Du bist immer schon der Heizer gewesen, dort wie da auf maximaler Betriebstemperatur.
    Zu meiner Überraschung war Vater es, der die Wende einleitete. „Aber deswegen habe ich dich

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