Zugriff
mir und schrie noch einmal laut: » Zugriff! Zugriff!«
Dann ging alles ganz schnell. Der erste unserer Wagen beschleunigte ein letztes Mal, bremste in Höhe des Fluchtwagens ab, der nach wie vor an der Ampel stand, und rammte mit der linken Breitseite den rechten Kotflügel des BMW . Die Besatzung im Innern ging vorsichtshalber in Deckung, falls die Geiselnehmerin das Feuer eröffnen sollte. Doch bevor Derartiges überhaupt geschehen konnte, war bereits Wagen Nummer zwei da, prallte mit lautem Knall frontal in das Heck des ohnehin schon demolierten Autos, und nur einen winzigen Moment später trafen auch wir ein, sprangen heraus, eilten zu dem eingekeilten BMW . In Sekundenschnelle zertrümmerte einer meiner Männer mit einem Nothammer die rechte hintere Seitenscheibe, packte sogleich die Hand mit der Pistole. Er war spezialisiert auf solche Fälle, und alles lief so schnell ab, dass die Geiselnehmerin es kaum begriff. Plötzlich von gezogenen Waffen umringt zu sein war für sie sichtlich ein Schock.
Fast drei Stunden hatte die Verfolgungsjagd gedauert, und noch immer wussten wir nicht, wie es überhaupt zu der Geiselnahme gekommen war. Zweifelsfrei stand nur fest, dass die Täterin geistig verwirrt war und außerdem offenbar unter Verfolgungswahn litt.
Angefangen hatte alles gegen 18 Uhr an diesem Tag, als kurz vor Ende der Sprechstunde eine Unbekannte mit Kopftuch und Sonnenbrille die Arztpraxis im dritten Stock eines Schwabinger Hauses betrat und sich als Privatpatientin anmeldete. Im Behandlungszimmer zog sie sogleich eine Pistole und bedrohte den Mediziner: » Leisten Sie keinen Widerstand, ich bin in Judo und Karate ausgebildet«, sagte sie. Arno Z. glaubte anfangs, dass es sich möglicherweise um ein Drogendelikt handelte und die Frau die Herausgabe von Betäubungsmitteln erzwingen wollte, musste jedoch bald erkennen, dass er es mit einer schwer gestörten Person zu tun hatte. Die ihm völlig unbekannte Frau redete wirres Zeug von entführten Kindern und einem Chef, der dahinterstecke und sie ständig beobachte. Und genau zu diesem geheimnisvollen Chef wollte sie von dem Arzt gefahren werden.
Mit der Waffe vor Augen blieb Arno Z. keine andere Wahl, als ihrem Wunsch zu entsprechen. Beim Verlassen der Praxis beschloss die Frau spontan, auch noch die Helferin mitzunehmen, und dirigierte beide Opfer nach unten auf die Straße und von dort in eine nahe gelegene Tiefgarage. Hielt dabei die Pistole unter einer Zeitung auf die Geiseln gerichtet. Dann befahl sie dem Arzt, sich ans Steuer seines schwarzen BMW zu setzen, Christina B. dirigierte sie auf den Beifahrersitz, sie selbst nahm hinten Platz.
Jetzt wurde es gänzlich konfus, denn plötzlich war nicht mehr von Chef und Kindern die Rede, sondern es hieß: » Sie fahren zu sich nach Hause!« Warum, wusste niemand, aber Arno Z., der ebenso wie seine Assistentin panische Angst vor der Verrückten mit der Waffe hatte, sah keine Möglichkeit, sich zu weigern. Er fuhr mit ihr zu seinem Einfamilienhaus in Milbertshofen und ließ sie herein.
Bei ihrer Ankunft saßen im Wohnzimmer die schwer kranke Frau des Arztes samt Tochter und Freund, die alle nicht fassen konnten, in was für einer Situation sie sich plötzlich wiederfanden. Immerhin behielt Dr. Z. die Ruhe und versuchte die Situation zu deeskalieren, bot Mineralwasser an. Die Frau trank das Glas leer und steckte es in ihre Tasche. » Zur Erinnerung«, wie sie sagte. Immer deutlicher trat das Ausmaß der psychischen Störung zutage, zudem wirkte die Geiselnehmerin extrem sprunghaft. Ohne dass klar wurde, was sie in der Wohnung von Arno Z. eigentlich wollte, begann sie plötzlich zu murmeln, sie wolle in die Innenstadt und dort in ein Taxi umsteigen. Die Arztfrau nutzte das wirre Gerede, simulierte einen Schwächeanfall und bat darum, das Zimmer für eine Weile verlassen zu dürfen. Sie müsse sich unbedingt hinlegen, sagte sie. Vom Schlafzimmer aus wählte sie dann die Notrufnummer und löste eine der spektakulärsten Verfolgungsfahrten in der Geschichte der Münchner Polizei aus.
Das Resultat fand übrigens nicht nur ein positives Echo. So sah jener Polizeidirektor, der den Einsatz leitete und mit dem ich mir während der Verfolgungsjagd den erbitterten verbalen Schlagabtausch per Funk lieferte, beim Eintreffen vor Ort nur die Folgen der Karambolage, nämlich drei beschädigte Fahrzeuge. » Mann, sind Sie wahnsinnig?«, waren seine ersten Worte. Er wollte es zunächst nicht wahrhaben, dass nur so die
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