Zum Glück verführt: Roman (German Edition)
lecken, spitzte er die Lippen und blies mit sanftem Hauch die winzigen Krümel weg.
Ihr Herz trommelte in einem wilden Wirbel gegen ihre Rippen. Gepresst entwich der angehaltene Atem ihren Lungen. Sie erschauerte, bemüht, das leise Stöhnen zu unterdrücken, das sich ihrer Kehle entrang.
»Lyon, Andy, sind Sie fertig?« Abrupt ließ er ihre Hand los und wich einen Schritt zurück. Währenddessen glitt Gracie durch die Schiebetür zwischen Esszimmer und Küche. »Möchten Sie den Kaffee im Patio einnehmen?«
»Wir wollen noch einen Spaziergang zum Fluss machen«, antwortete er mit bewundernswerter Gelassenheit. »Sie brauchen nicht auf uns zu warten, Gracie. Es kann etwas später werden. Gehen Sie ruhig schon zu Bett.«
»Ich mach noch schnell den Abwasch und schaue kurz zu General Ratliff ins Zimmer«, entgegnete die Haushälterin. »Die Thermoskanne stelle ich Ihnen in den Wintergarten. Gute Nacht, falls wir uns später nicht mehr sehen sollten.«
»Gute Nacht, Gracie«, bekräftigte Lyon.
»Gute Nacht und nochmals vielen Dank für das köstliche Abendessen«, sagte Andy, deren Wangen inzwischen die Farbe reifer Erdbeeren angenommen hatten. Ob Gracie etwas mitbekommen hatte?
»Nichts zu danken. Und jetzt raus an die frische Luft. Sie wollten doch einen Spaziergang machen.«
Die Haushälterin scheuchte die beiden durch die Küche ins Freie. Ihr heimliches Reich war beeindruckend: Moderne, funktionale Einbaumöbel säumten die Wände, Elektrogeräte aus mattpoliertem Edelstahl blitzten Andy entgegen.
»Kocht sie für alle hier?« Die Journalistin hatte irgendwo gelesen, dass die Ratliff-Ranch durchaus mit einem kleinen Dorf vergleichbar war. Etliche Cowboys lebten mit ihren Familien auf dem weitläufigen Gelände.
»Sie hat jahrelang für die Saisonarbeiter mit gekocht.« Er deutete auf ein Gebäude, in dem Andy Schlafsäle vermutete. »Aber als es mit Dad gesundheitlich bergab ging, hab ich einen Koch für diese Leute eingestellt. Jetzt kocht Gracie hauptsächlich für Dad und mich, wenn ich hier bin.«
»Sie erwähnten heute Morgen, dass Gracie schon länger hier sei als Sie selbst.«
»Ja, sie kam mit meinen Eltern her, nachdem Dad das Haus gebaut hatte. Mom starb, als ich zehn war. Seitdem hat Gracie sich um mich gekümmert.«
»Wie war Ihre Mutter?« Sie schlenderten über den Pfad zum Fluss, nachdem sie den Swimmingpool und
einige der vielen Nebengebäude hinter sich gelassen hatten. Andy fand die von Mr. Houghton gesetzten Pflanzen sehr hübsch anzusehen. Ein würzig erdiger Duft von dem frisch bearbeiteten und gewässerten Boden erfüllte die Abendluft.
Es war eine traumhafte Nacht. Eine blass konturierte Mondsichel schwebte am Firmament über den sanften Hügeln – die perfekte Kulisse für ein romantisches Liebesdrama. Lauer Südwind streichelte Andys Haar, während sie mit Lyon unter einem Baldachin von Pekannuss- und Eichengeäst spazierte.
»Es ist zwar traurig, aber ich erinnere mich nicht mehr so deutlich an sie. Eher noch an einzelne Episoden von damals. Jedenfalls war mein Eindruck von Mom der einer liebevollen, fürsorglichen, warmherzigen Frau. Aber vielleicht empfinden alle Kinder so bei ihren Müttern.« Seine weißen Zähne blitzten in der Dunkelheit auf. »Ich entsinne mich, dass sie einen ganz bestimmten Duft mochte. Wahrscheinlich habe ich dieses Parfüm seitdem nie wieder gerochen, trotzdem würde ich sie daran sofort wieder erkennen. Sie hieß Rosemary.«
»Mmh, das habe ich heute in den Zeitungsausschnitten gelesen. Dort stand auch, dass sie und Ihr Vater während der Kriegsjahre in regem Briefwechsel standen. Die beiden hatten sicher ein sehr inniges Verhältnis.«
»Stimmt. So was gibt es nicht oft.« Aus seiner
Stimme klang leise Bitterkeit. Hastig wechselte er das Thema. »Und Ihre Eltern?«
»Meine Mutter lebt in Indianapolis. Mein Vater ist vor ein paar Jahren gestorben.«
»Was machte er beruflich?«
»Er war Journalist. Er schrieb Kolumnen für mehrere Zeitungen und war ungeheuer populär.«
»Demnach fingen Sie schon früh an, sich für Journalismus zu interessieren?«
Wollte er sie schon wieder provozieren? »Ich glaub schon«, erwiderte sie ruhig.
Inzwischen waren sie zu der grasbewachsenen, leicht abschüssigen Uferböschung gelangt. Andy lauschte auf das sanfte Rauschen des Flusses, derweil sie in das glasklare Wasser spähte, das entlang bizarrer Felsformationen strömte. »Oh, Lyon, es ist traumhaft«, rief sie hellauf begeistert.
»Gefällt es
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