Zum Nachtisch wilde Früchte
Koch verführte. Roger Colman sperrte sie ein. Er hielt sie wie eine Gefangene, brachte ihr selbst das Essen, redete ihr ins Gewissen – das sie nicht mehr hatte –, klagte und weinte, flehte sie an und drohte. Was half es? Corinna sah über ihren Vater hinweg. Ihr Sexualtrieb wurde zum Wahnsinn, aber niemand ahnte das. Ich war ein Jugendfreund von Madame Colman, der Mutter, und man rief mich, um Corinna zu helfen. Ich hatte neben meiner plastischen Chirurgie mich auch mit Hormonforschung beschäftigt und glaubte, durch Injektionen von Androgenen – das sind männliche Hormone – diese Triebhaftigkeit abstoppen zu können. Drei Monate lebte ich auf dem Schloß Colmans und behandelte Corinna. Sie wurde nicht geheilt, aber ich wurde schon nach drei Tagen ihr Geliebter und hielt es drei Monate lang aus …«
»Doktor«, stammelte Schreiber. »Das erzählen Sie mir …«
»Nur Ehrlichkeit heilt, mein Bester.« Dr. Hellerau goß sich einen Kognak pur ein und trank ihn mit einem langen Zug. »Nach drei Monaten hatte sich alles verschoben … Corinna war zu einem gefräßigen, nie satt werdenden Raubtier geworden – ich war entnervt, von Vorwürfen zerfressen, ein Sklave in ihren zarten, aber unbarmherzigen Händen. Ich sprach mit Roger Colman und erwartete eine Tragödie. Aber Colman war vernünftig. Er war immer ein kühler Rechner gewesen, und als nun die Rechnung mit seiner Tochter nicht aufging und nie aufgehen würde, machte er einen Strich darunter und schloß die Bilanz. Er zeigte einen großen Weitblick: Mit seinem Geld baute ich hier die ›Bergwald-Klinik‹ für Gesichtsplastik, studierte in den USA die neuesten Korrekturmethoden, entwickelte – auch auf amerikanische Anregung hin – die Gummimasken und hatte damit doppelten Erfolg: Einen psychologischen, denn die Menschen mit den wieder ›schönen‹ Gesichtern lebten auf und vergaßen alle Qual ihrer Verletzungen, und einen chirurgischen, denn ich konnte nun in aller Ruhe die langwierigen Operationen durchführen. Es sind Operationen darunter, die bis zu fünf und mehr Jahren dauern, bis ein zerstörtes Gesicht wieder menschenwürdig ist. Das Schwierigste dabei ist die Wiederherstellung zerstörter Lippen.«
Dr. Hellerau goß sich noch einen Kognak ein. Er war erregter, als man es ihm anmerkte.
»Für Roger Colman war die ›Bergwald-Klinik‹ nicht so sehr der Platz der Wiederherstellung zerstörter Gesichter, als vielmehr eine luxuriöse Irrenanstalt für seine Tochter. Es entsprach völlig ihrem Charakter, daß auch sie eine Gummimaske über ihr engelreines Gesicht zog, die Verletzte spielte und sich hemmungslos mit dem beschäftigen konnte, was ihr einziger Lebensinhalt war: ihr Körper. Ob die Männer, die sie nahm, keine Gesichter mehr hatten, war ihr völlig gleichgültig. Ihre Nymphomanie war so unbändig, daß für sie der Mensch nur ab der unteren Hälfte begann …«
»Hören Sie auf, Doktor. Bitte.« Schreibert wandte den Kopf zur Seite. »Mir wird schlecht …«
Dr. Hellerau überhörte diese Bitte, er erzählte weiter.
»Ab und zu geschah dann etwas Merkwürdiges … sie verliebte sich ehrlich. Das war faszinierend für mich, denn dann brach die zerfetzte Seele aus dem Untergrund hervor, eine arme, nicht lebensfähige Seele, die Corinna zum Selbstmordversuch trieb … aus Ekel vor sich selbst. So war es auch bei Ihnen. Und dann kam jenes Duell der Häßlichkeit, und ich wußte, daß die alte Corinna noch lebte, das Biest ohne Herz, der Vulkan der Perversität, der Wahnsinn des absurden Genusses. Darum – um Sie vor einem lebenslangen Schock zu schützen – riet ich Ihnen, ihr die Maske vom Gesicht zu reißen: Sie glaubten, sie sei von schrecklicher Häßlichkeit … das hätten Sie ertragen!«
»Ja«, sagte Schreibert kaum hörbar. »Ja, Doktor.«
»Aber sie war von fast überirdischer Schönheit! Das sollten Sie sehen! Und Sie sollten erkennen, daß Sie nur ein Ball waren, mit dem sie spielte … so wie wir alle für sie nur ein Spielzeug sein können und sind, weil sie eben nur Kreatur und nichts weiter ist …«
Am nächsten Tag traf Alf Boltenstern zu Besuch ein.
Schreibert empfing ihn sofort, und auch Boltenstern erging es wie Major a.D. Konrad Ritter: Er erkannte Schreibert in seiner Maske nicht, war dann verblüfft und voll des Lobes über diese Lösung eines schweren Problems.
»Hast du mir einen Brief geschrieben?« fragte Boltenstern nach den üblichen hingeplätscherten Reden.
Schreibert nickte. »Ja.«
»Ich
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