Zum Nachtisch wilde Früchte
ob du Frauen anfällst wie hungrige Tiger … oder weiße Seidenschals um die Hälse deiner Freunde knotest …
Wir werden es sehen. Alle, alle! Ich werde sie dazu einladen! Die ganze große Düsseldorfer Gesellschaft.
Na? Ein Tier? Ein Teufel? Ein gefallener Engel? Ein Mensch vom anderen Stern?
Freunde, versteckt die weißen Seidenschals!
Toni Huilsmann wischte sich über die Augen. Er glühte vor Rache.
Und wenn es nach dem 17. September ist, dachte er. Ich habe Zeit … an diesem Abend ist es immer noch früh genug …
Er irrte sich.
Er kam zu spät …
Die Landesheilanstalt für Nervenkranke lag in einem weiten Parkgelände. Außer dem großen Gebäude mit der Verwaltung, den Untersuchungszimmern, den Röntgen- und OP-Sälen, den Labors und Gymnastikräumen, vor dem ein großer Parkplatz war, sah man auf den ersten Blick nichts mehr von den vielen Einzelhäusern, die verstreut hinter hohen Busch- und Baumgruppen des Parkes versteckt waren. Weit auseinander hatte man sie gebaut, mit großen Wiesenflächen und Blumengärten dazwischen, jedes Haus eine kleine, abgeschlossene Welt für sich.
Oberarzt Dozent Dr. Laurenz empfing Werner Ritter und Jutta Boltenstern in seinem Ordinationszimmer. Ein Pfleger führte gerade einen Patienten ab, einen hünenhaften Kerl mit kurzgeschorenen, blonden Haaren, aber mit einem seligen Kinderlächeln auf dem breiten Gesicht und den Bewegungen eines flirtenden, sich seiner aufreizenden Schönheit bewußten Mädchens. Als er an Jutta vorbeigeführt wurde, schnalzte der Riese mit der Zunge, seine treuen Kinderaugen veränderten sich, wurden klein und eng und böse. Der Wärter, ebenfalls ein großer, kräftiger Mensch, zog den Patienten aus dem Zimmer, und jetzt erst sah Jutta, daß der Riese und der Wärter durch Handschellen aneinander gefesselt waren.
»Das war Robert Hickes«, sagte Oberarzt Dr. Laurenz, als die Tür zugeklappt war. »Dreifacher Mädchenmörder. Die Gestalt eines Bullen, aber das Hirn eines Vierjährigen. Er war gerade hier, um sich zu beschweren. An seinem Pudding war zu wenig Himbeersaft, meinte er.« Dr. Laurenz lächelte und wies auf die herumstehenden Sessel, als er Juttas erstauntes, fragendes Gesicht sah. »Auch so etwas muß man hier tun. Höre ich mir seine Beschwerden nicht an, schlägt er sein Zimmer kurz und klein. So ist er nun zufrieden, ich habe ihn fünf Minuten lang angehört, habe ihm versprochen, daß er mehr Himbeersaft bekommt – und nun ist Ruhe im Bau.«
Werner Ritter stellte Jutta als Kriminalassistentin vor, aber Dr. Laurenz winkte ab, als Ritter auch noch erklären wollte, warum er die Kollegin zu dieser Besichtigung mitgebracht hatte.
»Ich kenne Fräulein Boltenstern«, sagte Dr. Laurenz ohne den geringsten Sarkasmus. »Wie klein die Welt ist, kann hier wieder demonstriert werden. Mein Vater ist im Aufsichtsrat der Wollhagen-Werke, und bei einem Ball im Park-Hotel habe ich vor einem Jahr mit Ihnen getanzt, Fräulein Boltenstern. Daß Sie sich daran nicht erinnern, beweist nur, wie wenig Eindruck ich damals auf Sie machte.«
»Aber Doktor«, sagte Jutta verlegen. »Es ist damals so viel getanzt worden!«
»Bleiben wir also bei der kleinen Lüge, Sie seien von der Kripo, wenn der Chef uns begegnen sollte. Er hat eine Abneigung gegen Journalisten. Man muß das verstehen: Zweimal hat er die Klinik von Journalisten besichtigen lassen, hat sich alle Mühe mit Erklärungen und medizinischen Auskünften gegeben … und was erschien später in den Zeitungen? Ausgesprochener Blödsinn! Sensationsmache. Überschriften wie: Blick in die Schlangengrube … und andere solche Dummheiten! Nicht einen Funken Objektivität, nicht eine Zeile über das schreckliche Schicksal der armen Kranken … nur billiger Nervenkitzel!« Dr. Laurenz sah Jutta Boltenstern ernst an. »Wollen Sie etwa auch schreiben?«
»Nein!« Jutta schüttelte mit Heftigkeit den Kopf. »Ich wollte gar nicht mitkommen. Aber mein Verlobter meinte, ich müsse so etwas Schreckliches sehen. Wird … wird es schlimm sein, Doktor? Sonst lassen Sie mich lieber hier sitzen. Ich warte gem. Es macht mir nichts aus, einen Ermordeten zu sehen und darüber zu berichten … aber vor den Irren habe ich Angst!«
»Sehen Sie!« Dr. Laurenz wandte sich an Werner Ritter. »So etwas entsteht durch die unsachliche Berichterstattung! Warum Angst? Warum Grauen? Die Kranken sind Menschen wie wir … daß sie anders denken, fühlen, reagieren, leben wie wir, ist ihr tragisches Schicksal, das wir
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