Zum Nachtisch wilde Früchte
lehnte sich zurück. »So wie du jetzt bist, gefällst du mir nicht. Ich werde mich also woanders umsehen müssen.«
»Ich lade dich ein«, sagte Werner Ritter dumpf.
»Zu einem Schokoladeneis?«
»Nein. Zu einer Besichtigung von Geisteskranken.«
»Danke!« Jutta biß die Lippen zusammen. Sie sah es als einen bösen Witz an, als eine Frechheit. »Du bist heute unausstehlich! Ich gehe.«
»Wir werden die Landesheilanstalt besichtigen. Professor Prager hat sich bereit erklärt, mir – aber nur der Ermittlungen wegen – einige Fälle von Süchtigen und die Anwendung des LSD bei Schizophrenen zu zeigen. Ich werde dich als Kriminalassistentin vorstellen.«
»Und … und warum soll ich mir das ansehen?« Juttas Zorn wich einer inneren Abwehr. Es ist keine vergnügliche Abwechslung, ein paar Stunden unter Irren zu leben.
»Ich muß wissen, ob du mich liebst … ob du mich so stark liebst, daß du auch die Hölle, wenn sie um dich ist, für mich ertragen kannst. Ich muß wissen, ob ich mich auf dich verlassen kann.« Ritters Stimme klang wie verzweifelt.
»Und dazu mußt du mich in eine Irrenanstalt bringen?« fragte sie mit großen Augen.
»Ja! Du wirst es verstehen, wenn wir wieder herauskommen.«
Etwas bedrückt von den Aussichten, gleich in einen Abgrund menschlicher Wesensveränderung zu blicken, fuhren sie fort. Und auch während der Fahrt zur Landesheilanstalt sprachen sie kaum ein Wort. Es war, als wüßten sie, daß die größte Probe ihrer Liebe bevorstand, und sie waren noch nicht einmal verlobt …
Um dieselbe Zeit war Toni Huilsmann in Düsseldorf unterwegs. Nicht auf Kundenbesuch, nicht zur Kontrolle der Baustellen, nicht zu den Bauämtern … er fuhr vielmehr in Gegenden, in denen sein amerikanischer Sportwagen am Tage fehl am Platze war, weniger in der Nacht, wo sie zu den Kunden gehörten. Hinter dem Bahnhof, in einigen Gassen nahe dem Rheinufer, aber auch in stillen Villenstraßen hielt er und klingelte die Damen aus dem Schlaf, die erst beim Einbruch der Dunkelheit munter werden.
Überall war es das gleiche – man schimpfte, bewarf ihn mit wenig charmanten Ausdrücken, aber Huilsmann ließ sich nicht abwimmeln. Er sah bleich aus, und seine Fröhlichkeit paßte gar nicht zu seinem zerknitterten Gesicht, aus dem das Jungenhafte verschwunden war und eine fahle Vergreisung begann.
»Haltet die schönen Klappen, Puppen!« sagte er immer wieder, wenn er in den unaufgeräumten, nach Parfüm, Schweiß und Nacht riechenden Zimmern stand. »Ich bin auch gleich wieder weg. Nur eine Frage: Habt ihr LSD hier?«
Es zeigte sich, daß niemand es hatte. Auch wo es zu bekommen war, wußte kaum eine der Damen. »In London!« – »In Paris!« – »Da mußte nach Hollywood fahren, Kleiner.« Nur Marlies, die Star-Nutte, die eine weiße Villa bewohnte und in einem mit Weißfuchs ausgeschlagenen Bett schlief, gab eine präzisere Auskunft:
»Ich könnte rankommen, Toni. Ein Kunde von mir ist Chemiker. Wenn ich den ganz lieb bitte …«
»Tu das, Süße.« Huilsmann schob einen 1.000-Mark-Schein in den Ausschnitt des Nachthemdes und küßte Marlies auf die blondierten Haare. »Ich muß es schnell haben, hörst du?«
»Und warum? Es soll ein Mistzeug sein.«
»Es geht um eine Wette. Wann kommt dein kleiner Giftmischer?«
Marlies reckte sich, den Schein ließ sie zwischen ihren Brüsten liegen. Dort lag er gut verklemmt. »Gib mir mal das Terminbuch, Toni. Dort, in der Schublade.«
Sie blätterte in dem ledergebundenen Buch und suchte in den einzelnen Tagesrubriken.
»Pech, Süßer«, sagte sie dann. »Er ist mit seiner Familie in den Ferien. Hat ja noch schulpflichtige Kinder, der Liebe. Sie sind jetzt auf Borkum. Nach den Ferien muß er sofort weiter nach Basel, in irgend so ein Labor. Er hat sich bei mir erst zum 17. September angemeldet …«
»Scheiße!« sagte Huilsmann unhöflich. »Dann werde ich nach Paris müssen. Ich danke dir, Marlies. Und die Tausend verrechnen wir mal gelegentlich!«
Auf der Straße setzte er sich in seinen Wagen und starrte in die blühenden Büsche der Vorgärten. Eine vornehme Gegend war es. Hier wohnten Direktoren und Geschäftsleute, Kokotten und erfolgreiche Schriftsteller.
Ich werde dieses LSD bekommen, dachte Toni Huilsmann. Und ich werde es Boltenstern in seinen Genever tun, wie er es mit meinem Whisky gemacht hat! Ahnungslos wie ich wird er es saufen, und dann, mein Junge, wollen wir sehen, wie du reagierst. Ob du den Himmel einrennst oder deinen eigenen Kopf …
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