Zum Nachtisch wilde Früchte
Haut prallten wie Schläge Hunderter trommelnder Finger. Boltenstern lief den Berg hinab, hinter sich hörte er die Rufe Petras, aber er blieb nicht stehen, er wartete nicht, bis sie nachkam durch den wallenden Nebel, den Vorhang der dicken Tropfen und der Blitze, die fast auf gleicher Höhe mit ihnen aus den Wolken zuckten. Ja, es roch sogar nach Schwefel, und Boltenstern dachte gehässig: Jetzt holt der Teufel sie. Ein Hexensabbat ist's!
In einer Höhle verkroch er sich, mit einem bösen Lächeln, als er Petras Schreie durch den Nebel und das Donnerrollen hörte. Er drückte sich an die Felswand und rührte sich nicht. So sah er sie vorbeihetzen, in heller Angst, mit nassen, verklebten Haaren und einem Kleid, das an ihren Körper geleimt war.
»Alf!« schrie sie, als sie an ihm vorbeilief. »Alf! Hilfe! Hilf mir doch! Alf!«
Drei Meter neben ihm kroch sie unter einen überhängenden Felsen und rollte sich zusammen wie eine nasse Katze. Er konnte sie ganz deutlich sehen, wenn er sich etwas vorbeugte … sie lag im Schutz des Überhanges, aber immer noch vom schräg fallenden Regen gepeitscht, und die Blitze grellten ins Tal, und der Donner schien die Berge aufzureißen.
Ein Genuß war es für Boltenstern, sie so leiden zu sehen. Er erfreute sich an ihrer Angst wie an einem Glas gut temperierten Rheinweins. Als ein Blitz in der Nähe irgendwo in die Felsen schlug und die Erde bebte, schrie sie auf und rief wieder nach ihm.
»Alf!« schrie sie. »Hilf mir! Wo bist du? Ich liebe dich! Verzeih mir! Verzeih mir! Alf, laß mich nicht allein!«
Boltenstern rührte sich nicht. Er lächelte sogar, als er in seine kleine Höhle kroch und sich dort auf den kalten Stein legte. Um ihn herum zitterte der Berg. Wie Granaten krachten die Donner.
Löse dich auf vor Angst, du Hexe, dachte er voll Triumph. Schrei nach mir! Jeder Ton deiner Angst ist Musik für mich!
Oh, er war wie rasend vor Rache. Er schwelgte in ihr.
Und es war im Grunde genommen doch nichts weiter als eine Bestätigung seiner Ohnmacht, daß er den Himmel brauchte, um ein billiger Rächer zu werden.
11
In das Leben Jutta Boltensterns und Werner Ritters war eine wundervolle, von Seligkeit erfüllte Ruhe gekommen. Sie waren wie zwei Wildbäche, die ineinander mündeten und nun als Fluß ruhig und gebändigt zum Meer flossen, dem Meer, das bei ihnen die Ehe, die immerwährende Liebe bedeutete. Seit jener Nacht in Boltensterns verlassenem Bungalow, in dem Jutta ihre letzte Kindheit abwarf und zur Frau reifte, war auch Werner Ritter in eine Rolle hineingewachsen, in der ihn Jutta sehen wollte und vor der sie sich jetzt schämte, daß sie sie mit ihrem Körper geschaffen hatte: Er fühlte sich mit Jutta so innerlich verbunden, daß alles Denken nur um die Frage kreiste: Machte er sie glücklich? Major Konrad Ritter hatte seinen Segen gegeben, als Werner Ritter ihm am nächsten Morgen die Wahrheit sagte, denn dem Alten war es aufgefallen, daß sein Sohn nicht nach Hause gekommen war, obwohl er keinen Nachtdienst hatte, wie er gegen 24 Uhr beim Präsidium telefonisch erfuhr.
»Keine Indiskretionen, mein Sohn!« sagte er am Morgen mit abwehrender Handbewegung, als Werner zu einer Erklärung ansetzte. »Ich habe dich als Kavalier erzogen! Ich nehme aber an, daß du dich ehrenhaft betragen hast!«
»Sobald Alf Boltenstern zurückkehrt, halte ich um Juttas Hand an.«
»Aha! Da warst du also!« Es war eine wenig kavaliersmäßige Bemerkung, und Werner lächelte versteckt.
»Ja, Vater.«
»Eigentlich müßte ich wieder toben!« rief Konrad Ritter.
»Und warum diesmal, Vater?«
»Weil du mich zum Idioten stempelst! Erst sollst du um Jutta anhalten, das willst du nicht, und ich muß zu Boltenstern und lasse mich abkanzeln wie einen Stiefelpisser! Und kaum ist er weg, gehst du mit Jutta … na ja … also, hm … findet ihr euch … ist's so diskret ausgedrückt? … und willst nun doch um ihre Hand anhalten. Hin und her! Eine labile Jugend haben wir, Gott sei's geklagt! Aber es ist nun gut so. Ich habe immer gehofft, daß zwischen dir und Jutta einmal etwas mehr werden wird als nur eine Jugendfreundschaft.«
Damit war das Thema für Konrad Ritter erledigt. Abgeschlossene Dinge legte er weg wie ein Aktenstück. Aber da war noch etwas, was die Familie belasten konnte, und darüber wollte er nun sprechen.
»Wie ist es mit den Ermittlungen, Junge?« fragte er und tat so, als sei diese Frage nur von allgemeinem Interesse.
»Sie sind eingestellt, Vater.« Werner
Weitere Kostenlose Bücher