Zur Liebe entfuehrt
und erschöpft. Sie hatte schon immer eine zarte Konstitution besessen. Aber an sich war sie eine starke Frau. Trotzdem erschien sie ihm jetzt sehr verletzlich.
Nach einer Weile wurde sie kurz wach und spürte sofort, dass es kühler geworden war. Trotz der Abgase und der Küchengerüche, die gelegentlich von den Gaststätten am Straßenrand zu ihnen herüberwehten, war die Luft wesentlich besser. Während Perdita den Kopf an die Kopfstütze lehnte und die Augen halb geschlossen hielt, wirkten die Telefonkabel gegen den tiefblauen Himmel wie ein wirres Netz. Dann döste sie wieder ein.
Als sie das nächste Mal erwachte, war die Umgebung viel ansprechender.
„Wie du siehst, sind wir bereits im Valley“, sagte Jared. „Wir sind gerade durch Napa gefahren und befinden uns nun auf dem St.-Helena-Highway, der kalifornischen Weinstraße.“
Perdita setzte sich auf und sah sich um. Das Tal war tatsächlich schön. Sanfte Hügel erstreckten sich rechts und links der Straße in sattem Grün. Die Luft war lauwarm und duftete herrlich.
Sie fuhren durch Yountville, und danach um die felsigen Ausläufer der gleichnamigen Hügelkette herum. Dahinter wurde das Tal mit seinen bewaldeten Hängen ein wenig schmaler, und gleich darauf waren sie von Weinbergen umgeben.
„Wolf Rock liegt nur ein oder zwei Meilen die Straße hinauf.“
Perdita geriet in Panik, als ihr bewusst wurde, dass sie ihr Ziel gleich erreichen würden. Zwar war sie schon die ganze Zeit mit Jared zusammen. Aber bis jetzt war Henry nie weit gewesen, und seitdem er sich verabschiedet hatte, waren sie unterwegs. Allein mit Jared in einem Haus zu sein, wäre etwas ganz anderes.
Dann bemühte sie sich, positiv zu denken: Bestimmt wären sie auch dort nicht allein! Selbst wenn seine Frau erst morgen kam, hatte er doch sicher Personal, das sich um das Haus kümmerte.
Trotzdem kamen ihre ursprünglichen Befürchtungen mit Macht zurück. Es wäre nicht so schlimm gewesen, wenn sie gewusst hätte, was er vorhatte. Aber ihr war immer noch nicht klar, weshalb er sie zwang, ihn zu begleiten. Da er verheiratet war, wollte er wohl kaum versuchen, sie wieder für sich zu gewinnen. Aber warum hatte er dann das alles so eingefädelt?
Wahrscheinlich wollte er sich in irgendeiner Form angemessen rächen. Aber was bedeutete in diesem Fall „angemessen“?
Ihr Vater hatte Jared beinah in den Ruin getrieben, Elmer und Martin hatten ihn verprügelt, und ihr hatte er vorgeworfen, dass ihre Liebe und ihr Vertrauen nicht ausreichend waren. Dabei hatte sie ihn wirklich geliebt, aber er hatte ihr Vertrauen leichtfertig missbraucht. Andererseits hatte Jared immer geschworen, er habe sich nichts zuschulden kommen lassen, und Sally, eine Frau, die mit beiden Beinen auf der Erde stand, glaubte ihm. Allein das hätte Perdita normalerweise an ihrem eigenen Urteil zweifeln lassen, hätte sie nicht mit eigenen Augen gesehen, was Jared getan hatte.
Sie seufzte. So kam sie dem Rätsel um ihre Entführung nicht auf die Spur. Aber bestimmt würde sie schon bald erfahren, worum es hier ging. Sie hoffte nur, dass es ihr trotzdem gelingen würde, JB Electronics zu retten …
Ihre Gedankengänge wurden gestoppt, als Jared links abbog und einen Privatweg entlangfuhr. Kurze Zeit später näherten sie sich einem großen schmiedeeisernen Tor. Auf einem ebenfalls schmiedeeisernen Bogen darüber stand in schwungvollen Buchstaben: „Wolf Rock Winery“.
„Zu Hause“, sagte Jared zufrieden, als sie das Tor passierten. Nach weiteren dreißig Metern hielt er vor der blumenumrankten Veranda eines großen ebenerdigen Hauses. Die Dachziegel waren ockerfarben mit einem Stich ins Pinke und die Ziegelsteinwände glänzten in einem zarten Apricot. Eigentlich hätte sich die Kombination beißen müssen, aber irgendwie wirkte das Zusammenspiel der Farben perfekt harmonisch.
Nachdem Jared Perdita aus dem Wagen geholfen hatte, holte er das Gepäck und ging ihr voran die Veranda hinauf. Dann öffnete er die Haustür, die in einen großen Eingangsbereich führte.
Das Innere des Hauses war sehr offen gehalten, und es gab viel Platz. Die Wände waren weiß und die Böden mit kühlen Fliesen ausgelegt. Es gab nur wenig Möbel, und Perdita fiel wieder ein, dass Jared seine Wohnräume geräumig und luftig mochte.
Abgesehen von einigen Pflanzen, wurden die einzigen Farbtupfer von Ölbildern gesetzt. Eines stellte pastellfarbene Häuser dar, die sich oberhalb eines tiefblauen Meeres einen Hügel hinaufzogen:
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