Zurück ins Licht (Das Kleeblatt)
den Jungen. Schüttelte ihn heftig und lange und brüllte ihn an, hielt ihn kopfüber und klopfte dem röchelnden Kind auf den Rücken, bis es wieder Luft bekam. Und nach dem dritten, vierten, fünften Mal verstand es endlich, dass es falsch war, wenn es weinte, weil sein Schreien mit immer schlimmeren Schmerzen bestraft wurde.
Irgendwann weinte der Junge kaum noc h. Irgendwann hatte er auch vergessen, dass da früher eine Frau gewesen war, die ihn tröstend in den Arm genommen und ihm Liebe und Wärme geschenkt hatte. Der Riese war der einzige Mensch, der sich um ihn kümmerte, ihm zu essen gab und den Schmutz beseitigte. Ihn brauchte er zum Überleben, auf ihn war er angewiesen. Also durfte er nicht mehr schreien und weinen, wenn er diese Dinge mit ihm tat.
Seine Augen verdrehten sich, erfassten die Deckenlampe, in der bunte Kreise tanzten, die sich wie Spiralen drehten, immer größer werdende Kreise, denen er folgte bis tief hinein zu einem geheimen Ort, wo er alleine war. Ganz alleine. Niemand folgte ihm dorthin und er wandte sich nicht um, weil er nicht sehen wollte, was er zurückließ. Erst spürte er nicht mehr, was der Riese zwischen seinen Beinen tat. Dann spürte er seinen Körper nicht mehr, bis er nicht einmal mehr bemerkte, dass er im Raum war.
Zurück blieb Simeon , der dem Erstgeborenen ermöglichte zu überleben.
28. Kapitel
„Es wird Zeit, sich an die Arbeit zu machen, meine Verehrteste. Nun kommen Sie, begleiten Sie mich bei meinem Besuch in den Katakomben. Ungeachtet der reichlich gebotenen Abwechslungen wollen wir doch nicht versäumen, hin und wieder einen kurzen Blick auf unseren geschätzten Gast zu werfen. Ihm scheint die Luft bei uns nicht sonderlich zu bekommen.“
Obwohl der Marquess mit gespielter Unschuldsmiene die Augenbrauen in die Höhe hob, war ihm anzumerken, wie sehr ihn Angels anhaltender Stolz aufbrachte. All seinen Ehrgeiz hatte er darauf ausgerichtet, ihn zu brechen, je früher und schmerzloser, desto besser für Angel, allerdings hatte er auch noch nie vor der Anwendung von Folter zurückgeschreckt.
Mehr denn je bedauerte er, dass vor dreißig Jahren Angels Konditionierung jäh unterbrochen wurde, weil der Junge – weiß der Kuckuck, wie – ausgebüxt war. In einem äußerst aufschlussreichen Seminar für eine ganz spezielle Klientel hatte er davon gehört, dass man Menschen beinahe wie Computer programmieren konnte, wenn man früh genug damit anfing. Jeder verfügte über einen angeborenen Persönlichkeitskern, der sich im Laufe des Lebens immer stärker entwickelte. Deshalb war es für die perfekte Manipulation am besten, bereits im Kleinkindalter mit der Programmierung zu beginnen, ließ sich doch ein schwacher Persönlichkeitskern deutlich leichter abspalten. Wenn eine solche Behandlung vorgenommen wurde, dann bei Kindern im Alter von zwei bis vier Jahren.
Das hatte er getan. Ma n musste hart genug foltern und das Kind in Todesnähe bringen, starken Schmerz an bestimmte Anforderungen koppeln und die Reaktion so lange üben, bis es die gewünschten Gedanken und Verhaltensweisen äußerte, und dabei jeden Kontakt zur Umwelt unterbinden. All diese Voraussetzungen hatte er mit akribischer Genauigkeit geschaffen, hatte ebenso wenig mit den Belohnungen für das erwünschte Verhalten gegeizt und doch war alle Mühe umsonst gewesen, weil Angel bei einem Ausflug zu einer Gruppe Gleichgesinnter spurlos verschwand – zu früh, um ihn bereits mit sämtlich möglichen Programmierungen vollgestopft und bleibenden Erfolg erzielt zu haben.
Als Angel Jahre später seinen Armeedienst antrat, hatten die Ärzte schnell herausgefunden, dass er nicht nur zu den zwanzig Prozent aller Menschen gehörte, die extrem offen für die Kraft der Hypnose waren, sondern obendrein dissoziative Fähigkeiten besaß. Damit waren sie in der Lage, einen Teil seiner Persönlichkeit vom Hauptteil seines Bewusstseins gezielt abzuspalten. In ihm hatten sie den perfekten Kandidaten für die Ausbildung zum Agenten gefunden, für seinen Einsatz als Schläfer, eine Karriere, die auf sein, Stojan Stojkows, Betreiben hin unterbrochen wurde. Er wollte Angel für sich. Er war sein Werk und das würde er auch bleiben. Also hatte einer der Männer das Tötungsprogramm in seiner Schöpfung, einem Piloten der Hubschrauberstaffel, in Gang gesetzt, und Angel wurde mit einem Schädel-Hirn-Trauma ausgemustert.
Nun, er würde herausfinden, wie viel Restprogrammierung in dem Jungen noch vorhanden war und was sich
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