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Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Titel: Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sennett Richard
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»neuer Konservativer« gleichsam zu einer Bibel wurde. 2 Diese amerikanischen und englischen Erben Tocquevilles betonten die Tugenden des lokalen Lebens, der ehrenamtlichen Arbeit und des Vereinswesens, die sie den Lastern des »Big State« und vor allem des Wohlfahrtsstaats entgegenstellten. Die »Suche« nach Gemeinschaft ist bei Nisbet mehr als eine Metapher. Er beschreibt den Kampf um direkte zwischenmenschliche Beziehungen, den die Menschen führen müssen, vor allem wenn die staatliche Bürokratie auf den Plan tritt. Nisbet und sein Kollege Russell Kirk waren in den 1950er Jahren »neue« Konservative, weil sie sich wirklich Gedanken über das soziale Leben der armen Bevölkerungsschichten machten, während die Anhänger des schlanken Staats in der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre sich hauptsächlich um Steuern, unternehmerische Freiheit und das Recht auf Eigentum gekümmert hatten. Diese neuen Konservativen waren jedoch insofern auch alt, als die Überzeugung, wonach ärmere Menschen Erfüllung im lokalen Leben finden können, bis zu dem Philosophen Edmund Burke im 18. Jahrhundert zurückreicht.
    Zugleich waren sie Propheten. Was man heute in Großbritannien als »modernen Konservatismus« bezeichnet, stellt die Tugenden des lokalen Lebens in den Mittelpunkt und hält es für besser, wenn nicht Sozialstaatsbürokraten, sondern ehrenamtliche Helfer den Armen beistünden. Diese lokale Ausrichtung hat Premierminister David Cameron mit dem Ausdruck »Big Society« belegt, wobei das »groß« ein großes Herz, aber wenig staatliche Unterstützung bedeutet. In Amerika bestehen Teile der Tea-Party-Bewegung aus gemeinschaftsorientierten Konservativen, die ähnliche Ansichten vertreten. Diese Konservativen verstehen sich nicht als egoistische Individualisten, sondern möchten, dass Nachbarn einander helfen.
    Der sprichwörtliche Besucher vom Mars könnte meinen, es bestünden kaum Unterschiede zwischen Konservativen dieser Ausrichtung und den Erben der sozialen Linken, die sich im Gefolge Saul Alinskys in der Gemeinwesenarbeit engagieren und die staatlichen Großbürokratien bekämpfen. Solch ein Besucher (er oder sie oder es?) hörte auf der Rechten wie auf der Linken genau dieselbe Rede, wonach es darum geht, den Staat zurückzudrängen und die Menschen zu ermächtigen. Doch es gibt einen gewaltigen Unterschied. Nisbet glaubte, kleine Gemeinschaften könnten autark sein, während die soziale Linke bezweifelt, dass solche Gemeinschaften in der Lage wären, wirtschaftlich auf sich allein gestellt zu überleben. Die soziale Rechte glaubt, der Kapitalismus werde dem lokalen Leben die nötige Grundlage liefern, die soziale Linke glaubt das nicht.
    Linke und Rechte sprechen hier von zwei verschiedenen Arten kleiner Gemeinschaften. Das Modell der sozialen Rechten ist das Dorf oder die Kleinstadt, in der die Geschäfte und Banken sich im Besitz von Einheimischen befinden. Zwar waren Kleinstädte wirtschaftlich noch nie autark, aber die soziale Rechte möchte, dass es so wird. Der Einsatz der sozialen Linken für kleine Gemeinschaften erfolgt in Großstädten mit Geschäften, die zu Ladenketten gehören, mit Großunternehmen und mit global ausgerichteten, lokal isolierten Bankern. Natürlich gilt es, dem kapitalistischen Ungeheuer zu widerstehen, aber realistische Linke wissen, dass man es nicht im Tante-Emma-Laden besiegt.
    Obwohl Nisbet in einer Kleinstadt aufgewachsen war, interessierte er sich für die Großstadt. Vor dem großen Wachstumssprung europäischer und amerikanischer Städte im 19. Jahrhundert, so erklärte er, habe dort ein enger Zusammenhang zwischen Wohnort und Arbeit bestanden. Auch wenn man vielleicht nicht in derselben Straße arbeitete, in der man wohnte, bestand doch immer noch eine enge geographische Verbindung zwischen Familie, Arbeit und Gemeinde. Als man immer größere Fabriken baute, war es mit dieser Kompaktheit vorbei. Für diese Fabriken benötigte man unbebautes, billiges Land, und billiges Bauland gab es in den meisten Großstädten nur fern vom dicht besiedelten Zentrum. 3 Der Ausbau des Eisenbahnnetzes sorgte für eine Ausbreitung anderer Art: die Entstehung von Arbeitervororten fern vom Schmutz der Fabriken oder den Bürotürmen der im Stadtzentrum gelegenen Geschäftsviertel. Allerdings war das nicht überall die Regel. In New York zum Beispiel wohnten um 1900 Textilarbeiter in der Lower East Side, nur eine 15-minütige U-Bahn-Fahrt von dem uptown gelegenen Textilbezirk entfernt.

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