Zwei Einzelzimmer, bitte!: Mit Kluftinger durch Deutschland
Urlaub schicken. Und das will sauber recherchiert sein. Wenn, dann das volle Programm, dachte ich mir. Mallorca! Die Perle der Balearen. Hotel direkt am Strand, alles um ein großes Kinderbadebecken herumgebaut. Nachmittags singen als Animateure verkleidete Kellner das Iberoclub-Lied in Hasen- und Clownskostümen. Meine Kinder finden das toll.
Nix Hinterland. Nix einsame Buchten. Nix Finca!
Ich will jetzt gar nicht mit einem ausführlichen Reisebericht nerven. Ich will Ihnen nur kurz einen Mann vorstellen. Siegfrido. Kennen Sie nicht?
Ich sitze gerade direkt unter Siegfridos Supermarktreklame an der Ecke vor unserem Hotel. »Superspar. Deutsches Essen, deutsches Bier, Bild«. Meine Frau ist da gerade reingegangen. Wir brauchen Feuchttücher. Jetzt sitz ich da, mit meiner Reiseschreibmaschine, und warte auf sie.
Siegfrido hat bestimmt schon eine Villa in Anxxxxdraxxxtxxxxxxttxxxttt. Nebenher führt er noch eine Tabledance-Bar im Dachboden der Kathedrale von Palma, vermietet koreanische Kleinwagen unter dem Label »Malle-Cars« und pierct und tätowiert in siebzehn Einkaufszentren im Osten der Insel. Zusätzlich macht er deutsche Blutwurst und saure Kutteln für deutsche Auswanderer in Valdemossa, dieser Perle des Hinterlands, die jedes Jahr von höchstens 10 Millionen Leuten besucht wird, und betreibt das Café »Goldene Schwalbe« in Pranotxa. Kaffee und Kuchen, all you can eat. Alles original Filterkaffee wie zu Hause.
Sein Sohn ist Geschäftsführer der drei rein deutschsprachigen Filialen vom Hämischen Matratzenlager. Die sind jetzt nämlich auch auf der Insel. Zielgruppe: deutsche Inhaber von seit drei Wochen gemieteten Pensionen, die eigentlich einen ganz anderen Beruf gelernt haben, aber immerhin schon mehrere Urlaube in Hotels verbracht haben, was sie eindeutig zu Hotelfachkräften macht. Die Leute müssen doch irgendwo Bettzeug kaufen. Und das machen Sie mal, wenn Sie kein Spanisch sprechen!
Siegfridos geschiedene Frau können Sie auf dem Wochenmarkt in Dingens sehen. Janina Geercke-Schnaak. Die Schmuckdesignerin. Die, die aus vom Meer abgeschliffenen Glasscherben Colliers fädelt. Mit wollweißem Leinenkleid und Strohhut. Die ehemalige Kunsterziehern, die jetzt auf der Finca wohnt mit ihren zugelaufenen Hunden. Aber ich schweife ab. Es geht ja um Siegfrido.
Niemand weiß mehr so genau, weshalb er damals den Bahnhofskiosk in dieser kleinen westfälischen Stadt aufgegeben, seinem Vornamen ein O verpasst hat und auf diese Insel gezogen ist.
Wahrscheinlich wegen der tollen Buchten, leider kennen wir die nicht, da waren schon alle Liegen reserviert, als wir vom Frühstück kamen. Die abgelegenen Gebirgstäler? Ja, da waren wir gestern. Bis unsere Große sich das Buffetessen noch einmal … kein Wunder, bei den Kurven! Noch dazu in den geliehenen Familienvan! Ich sag nur: Feuchttücher! Was die von Malle-Cars wohl dazu sagen? Ach was, ich sag einfach einen schönen Gruß von Siegfrido! Den kenn ich jetzt ja!
Poolabend
Von Volker Klüpfel
Heute müssen wir über ein ernstes Thema reden. Weil immer irgendwo gerade Ferien sind, viele damit zu tun hatten, wir ja auch mal verreisen, um vom Reise-Alltag Abstand zu gewinnen, und überhaupt. Es geht um Urlaub.
Juhu!, werden Sie vielleicht sagen, was für ein schönes Thema. Werden schon den lauen Südwind durch die Palmen rauschen hören, die rote Sonne bei Capri im Meer versinken sehen, ihre Partnerin oder ihren Partner Liebesschwüre ins Ohr hauchen spüren …
Stopp!
Reißen Sie sich zusammen.
Seien Sie ehrlich zu uns und zu sich. Alles das hat ungefähr so viel mit Urlaub zu tun wie der lustlose Lappen auf dem Teller daheim mit der Steinofenpizza aus der Fernsehwerbung, für die auf einer Wiese der Koch Luigi angeblich aus einem geflochtenen Weidenkörbchen die Kräuter genommen und selbst gehackt hat.
Also: Urlaub.
Die Wahrheit.
Die Palmen dort (also: im Urlaub) sind verdorrte Topfpflanzen, die traurig den Schotterpfad zum Meer säumen, der im Katalog als rustikalromantischer Fußweg angepriesen wurde, die rote Sonne ist ein milchig weißes Wabergebilde, das nicht mehr durch den Smog am Stadthimmel dringt, und die Liebesschwüre werden in der Realität durch gegenseitiges Anschweigen beim Poolabend ersetzt.
Poolabend. Das ist überhaupt der Inbegriff des Urlaubs, weil er die Irrationalität der Situation verkörpert wie sonst vielleicht nur noch die Spontankäufe am Strand beim Vitamineproteinecocobello-Mann, der einem versichert, dass man mit
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