Zwei Frauen: Roman (German Edition)
konnte, und als dann auch noch eine Patientin mit ähnlicher Vorgeschichte starb, redete ich mir sogar ein, Angst zu haben.
Claudia wurde immer nervöser. Ein unruhiger Geist war sie zwar immer schon gewesen, doch schien ihre Unruhe jetzt schier groteske Züge anzunehmen. Unentwegt war sie mit ihrer Infusion beschäftigt, stellte sie schneller, dann wieder langsamer, nichts war ihr recht. Fragte ich sie dann, ob alles in Ordnung wäre, erwiderte sie mit fast fröhlicher Stimme: »Jau! Allet Scheiße!«, und griff zu ihrer Astrologie-Lektüre.
Monatelang hatten die Bücher in ihrem Nachttisch gelegen. Jetzt wurden sie wieder hervorgeholt. Vom Wassermann bis zu den Fischen hatte Claudia sich ja längst durchgearbeitet. Jetzt war es der chinesische Tierkreis, der sie ach so sehr faszinierte. Immer wieder verglich sie, was in ihren diversen Nachschlagewerken geschrieben stand, um letzten Endes festzustellen, dass der Mensch wohl doch mehr war als ein Stier mit Aszendent Steinbock, geboren in einem Jahr des Büffels. Dann schnaubte sie vor lauter Wut und warf das Buch mit voller Wucht an die Wand, sodass ich vor Schreck fast aus dem Bett fiel.
»Umso besser, Eva: Ich will mich nämlich unterhalten!«
Dieser Unterhaltungswahn war das Schlimmste, denn er ließ mir fortan keine ruhige Minute mehr.
Einmal ging es um die Infusion.
»Weiß den Henker, wat fürn Zeuch die da reinkippen! Eva? Weiß du, wat fürn Zeuch die da reinkippen?«
»Nein, Claudia!«
»Na, dann muss ich da ma nachfragen. Dat hilf nämlich nix. Hasse dat schon gemerkt, dat dat nix hilft, Eva? Eva???«
»Ja, Claudia, ich habe es gemerkt.«
»Da is bestimmt sonne homöopathische Kacke drin, und dat vertrach ich doch nich. Eva?«
»Mmh!«
»Verträchs du so Kräuterkes und so?«
»Nein, Claudia!«
»Siehse, mein Kadaver steht auch mehr auf Bayer Leverkusen. Hasse dat schon gemerkt, Eva …?«
In diesem Stil verliefen nun alle unsere Gespräche.
Eines Tages im Juni pochte es nachmittags an unserer Tür, und das uns nur allzu gut bekannte Gesicht von Karin Ortmann lugte durch den Spalt.
»Ach du Scheiße!«, stöhnte Claudia. »Du schon wieder!«
Da ich Karin noch nie hatte leiden können, musste ich darüber kichern. Sie selbst schien diese eindeutige Antipathiebekundung nicht mal zu bemerken. »Ja, ja«, säuselte sie nämlich mit der üblichen Sanftmut, »immer pünktlich!«
»Dat macht et ja so grausig!«
»Nun sei mal nicht so garstig, Claudia! Im Grunde freust du dich doch über meinen Besuch.«
»Nu mach aber halblang, ej!«
Der Tonfall dieses abschließenden »ej« ließ mich erstmals aufhorchen an diesem Nachmittag, und auch Karin Ortmann hätte schon in diesem Augenblick die Gefahr spüren müssen, die ihr drohte – wenn sie etwas sensibler gewesen wäre. Aber sie zog sich nur wie üblich einen der Stühle heran und setzte sich neben Claudias Bett.
»Wie kann man nur so krank werden!«, seufzte sie dann wie jeden Dienstag um diese Zeit. »Ich versteh’ das gar nicht.«
An diese schwachsinnige Bemerkung waren wir zwar gewöhnt, aber anders als sonst ließ Claudia sie nicht noch mehrmals wiederholen. Heute fuhr sie gleich aus der Haut.
»Fang jetz bloß nich wieder damit an!«, motzte sie. »Den Mist hör ich nu seit Jahrn, dat kotzt mich an.«
»Entschuldige!«, tönte Karin sogleich, aber das klang nur so dahergesagt. »Es kommt mir halt immer wieder in den Kopf. Ich kann es eben einfach nicht verstehn.« Dann drehte sie sich mir zu, auch so eine Geste, die sie jeden Dienstag um die gleiche Zeit anbrachte. »Wissen Sie, Eva«, sagte sie dabei mit gewichtigem Unterton, »ich habe ja, wie Sie wissen, in meinem Leben nur die Masern, die Röteln und die Windpocken gehabt. Ich hab’ auch noch alles drin, sogar den Blinddarm und die Mandeln.«
»Wie schön für Sie!«, sagte ich, weil ich das an dieser Stelle immer sagte, und Karin erwiderte: »Ja, ja … und wenn ich euch dann so ansehe …!«
»Hübsch, ne?«
Diese beiden Worte aus Claudias Mund waren eine Abweichung vom Normaltext, denn in der Regel setzte nach Karins Seufzer ein minutenlanges Schweigen ein. Dass es diesmal anders war, fiel sogar dem sonst so schwerfälligen Fräulein Ortmann auf, und sie geriet darüber auch sichtlich aus der Fassung.
»Hübsch?«, wiederholte sie entsetzt. »Aber Claudia, versündige dich nicht!«
»Und wieso nich?«, kreischte die. »Hasse etwa Angst, dein Gott könnt mich strafen?«
»Claudia! – Ist sie immer so?«, flüsterte
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