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Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Titel: Zwei Frauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Beate Hellmann
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Kopf.
    Kurz nachdem Behringer fort war, kam Claudia dann zurück. Sie keuchte wie nach der Besteigung eines Achttausenders und zwang mich erst einmal, das »Totengedudel« – meinen Tschaikowsky – abzustellen. Dann überschüttete sie mich mit Neuigkeiten und endete mit den Worten: »Nu erzähl du aber ma! Wie war et?«
    Mehr oder weniger munter, vor allem aber grobweg, berichtete ich vom Frauenmörder und seinen Mannen, von El Brutalo und seinem unverschämten Grinsen und von Frau Grubers Brief. Den Knoten in meiner Brust erwähnte ich mit keiner Silbe. Erst als es draußen schon langsam dunkel wurde, konnte ich mich dazu überwinden.
    Claudia lag in ihrem Bett und hielt endlich mal den Mund. Sie schaute an die Zimmerdecke und beobachtete das Schattenspiel der Lindenzweige, die sich im Abendwind wiegten. Eine betuliche Stille lag im Raum. Sie hatte etwas Friedliches, und selbst ich, die ich den ganzen Tag von einer Katastrophe in die andere gestürzt war, wurde von ihr erfüllt.
    »Du …?«, sagte ich leise.
    »Mmh …!«
    »… Die wollen mir die Brust abnehmen.«
    Da platzte die Stille wie ein Luftballon. Claudia schreckte hoch und knipste das Licht der Nachttischlampe an. »Wat?«, stieß sie dabei aus. »Deinen süßen kleinen Busen?«
    Noch nie hatte ein Mensch meinen kleinen Busen »süß« genannt. »Schneewittchen« hatte man mich gerufen: Kein Arsch und kein Tittchen, sieht aus wie Schneewittchen. Einen »bmw« hätte ich, hatte es geheißen: ein Brett mit Warze. Und ausgerechnet jetzt, wo Schneewittchens bmw schon halb auf der Mülldeponie lag, ausgerechnet jetzt nannte Claudia ihn einen süßen kleinen Busen. Mir kamen die Tränen. Unaufhaltsam schossen sie mir in die Augen, und ich drehte mich weg, zeigte Claudia und dem Rest der Welt die kalte Schulter. Niemand sollte mich weinen sehen, nicht jetzt. Voller Angst presste ich meine Hände auf meine Brüste. Ich fühlte, wie warm sie waren, und obgleich sie die Handflächen nicht füllten, fühlte ich auch, wie weich sie waren. Sie gehörten mir, und als die Brustwarzen anschwollen, wusste ich, dass sie lebten … noch lebten sie …
    Als ich am nächsten Morgen erwachte, war mein Kopf schwer wie Blei. Schwester Helma traf die üblichen Vorbereitungen, und ich ließ es stumm und regungslos über mich ergehen.
    Claudia ließ mich derweil keine Sekunde aus den Augen. Auch auf dem Weg in die Gynäkologie wich sie nicht von meiner Seite. Sie hielt meine Hand, und sie ging neben meinem Bett, das Helma gewohnt ungelenk durch die engen Kellergewölbe manövrierte, die unterirdisch die einzelnen Fachbereiche miteinander verbanden. Claudia liebte diese Gänge, denn sie waren gespenstisch wie sie selbst. Je trüber das Licht wurde, desto wohliger brummelte sie vor sich hin.
    »Dat is so richtig schön grausig hier drin«, flüsterte sie.
    Ich lächelte sie an. Mittlerweile kannte ich den Grund für die Hingabe, mit der Claudia alle Widerwärtigkeiten anbetete: In all ihrer Hässlichkeit bezeichnete sie wesentlich Hässlicheres als schön, und das gab ihr Selbstbewusstsein.
    Als wir die gläsernen Pforten der Operationsabteilung erreichten, kniff sie mir liebevoll in die Wange.
    »Guten Rutsch!«, sagte sie dabei.
    »Worein?«
    »Na, inne Urne!«
    Sie kicherte wie Hexe Wackelzahn, und so stand sie auch da in ihrer vor Schwäche leicht gebückten Haltung. Es fehlte nur der Rabe auf ihrer Schulter.
    »Ich wünschte, du könntest mitkommen«, sagte ich leise.
    »Ach wat! Du schaffs dat schon alleine!«
    Die Betriebsamkeit in der Frauenklinik, die mir wie ein Fließbandbetrieb vorkam, machte mir Angst und Bange. Als ich im Operationssaal lag und den Frauenmörder hereinkommen sah, wurde mein Atem noch schwerer. Frauenmörder warf einen kurzen Blick auf mein Krankenblatt und steuerte nach einem ebenso kurzen, aber laut vernehmbaren »Ah ja!«, zielsicher auf mich zu. »Ja, Frau Martin«, sagte er dann. »Das ist ja nun nicht so sehr schön!« Ich fühlte mich gefangen. Dieser Mann würde mir die Brust abschneiden, hier und jetzt, ich hatte mich ihm und seinen gewetzten Messern ausgeliefert. Er würde mich entstellen und verstümmeln, und ich würde es erst bemerken, wenn es längst geschehen war.
    Dieser Gedanke trieb mich in Panik, und ich hatte nur noch den einen Wunsch, davonzulaufen und mich irgendwo zu verkriechen. Da sah ich die Operationsschwester dicht neben mir. Sie hielt ein steriles grünes Laken, das mittendrin ein Loch hatte. Es war ein kleines Loch,

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