Zwei Frauen: Roman (German Edition)
wurde meine Angst.
»Sie haben mir einmal gesagt, Angst wäre nur ein Gefühl«, sagte ich deshalb eines Tages zu Daniela. »Wenn es so ist, dann helfen Sie mir jetzt bitte, dieses Gefühl zu besiegen. So kann ich nicht leben und erst recht nicht sterben.«
Daniela seufzte.
»Todesangst ist mehr als ein Gefühl«, sagte sie. »Todesangst ist die Urangst des Menschen, Eva. Sie bestimmt all unser Tun, ohne dass wir sie kennen. Nur ganz wenige Menschen bekommen in ihrem Leben Gelegenheit, sie so klar zu erleben, wie du es jetzt tust.«
»Heißt das, dass ich auch noch dankbar sein soll?«
»Es ist eine große Gnade, Eva. Wenn du dir dessen bewusst wirst, bist du ein reicher Mensch.«
»Und wenn ich vorher sterbe?«
Sie sagte dazu nichts, sie sah mich nur an.
»Bitte«, flehte ich daraufhin, »sagen Sie mir wenigstens, wie das ist, wenn man tot ist. Wo werde ich sein, wenn ich nicht mehr bin?«
»Darauf kann dir niemand eine Antwort geben, Eva, der Tod ist das letzte große Geheimnis des Lebens.«
»Ich muss es aber wissen. Ich muss wissen, wie das ist, wenn man tot ist, und ich muss wissen, wie das ist, wenn man stirbt. Sonst habe ich Angst.«
»Jeder Mensch fürchtet sich vor dem, was er nicht kennt. Die Gesunden fürchten die Krankheit, die Kranken fürchten die Chemotherapie, die Chemo-Patienten fürchten den Tod. Das ist nicht zu umgehen. Angst ist das Salz unseres Lebens, Eva.«
So machte Daniela mir klar, dass der Mensch ohne seine Angst gar nicht leben könnte, dass er sie brauchen würde, um weiterzumachen und weiterzukämpfen.
»Wenn Leben und Tod in den Augen der Menschen ein und dasselbe wären«, sagte sie, »warum sollten sie dann leben? Sie leben nur, weil sie vor dem Tod Angst haben.«
Je länger ich über Danielas Worte nachdachte, desto mehr wurden sie mir zum Trost. Ich hatte keinen Grund, ängstlich zu sein. Ich war ein Mensch, und Menschen kamen auf die Welt, um zu leben und zu sterben. Ich hatte gelebt, nun galt es zu sterben, und davor brauchte ich mich nicht zu fürchten. Gott würde sich zurückholen, was ihm gehörte.
Ich musste es lediglich geschehen lassen …
In diesem Sinne sollte mein neunzehnter Geburtstag der letzte und zugleich schönste meines Lebens werden. Ich wollte diesen so besonderen Tag nutzen, um meine verzweifelten Eltern von der Tröstlichkeit meiner Geisteshaltung zu überzeugen. Außer ihnen sollte keiner kommen, das hatte ich mir ausdrücklich so gewünscht Aber meine Wünsche waren ja schließlich noch nie respektiert worden, und so blieb mir auch in diesem Fall nichts, vor allem aber niemand erspart.
Alle kamen! Die Verwandten, die Bekannten, die so genannten Freunde, die ehemaligen Kollegen, kein Einziger ließ es sich nehmen, mir seine Glückwünsche zu übermitteln. Man wünschte mir alles Liebe und Gute, man versah mich mit Küsschen und Blumen, mit Geschenken und warmen Worten, und ich, die man damit beglücken wollte, ich saß atemlos mittendrin, geschminkt wie eine alternde Filmdiva, im himmelblauen Dress.
Diese Leute kamen, um mich anzustarren, und sie wären allesamt schon viel eher einmal gekommen, wenn sie mich dann ebenso zwanglos hätten anstarren dürfen. Es fehlte jedoch der Anlass. Mein Geburtstag war genau das, worauf sie gewartet hatten. Da wurde die Sensationslüsternheit ethisch verpackt.
Einige Besucher zeigten sogar eine gewisse Absicht, sich häuslich bei mir niederzulassen, wie meine Tante Erna und mein Onkel Karl. Sie hatten sich Marschverpflegung mitgebracht: belegte Brote und Kaffee aus der Thermoskanne. Andere wollten sich mit ihrem Besuch einen großen Auftritt verschaffen. So ein Fall war Hilary, die in schwarzer Hose, blutroter Bluse und mit hochhackigen Pumps erschien. Sie schenkte mir ein Buch über die berühmtesten Ballett-Tänzer unserer Zeit, eingewickelt in glänzendes Geschenkpapier und geschmückt mit einer Fotografie, die aus dem Archiv eines der von Hilary so sehr geschätzten Pressefritzen stammte. Das Bild zeigte Peter und mich anlässlich der Paganini -Premierevor zwei Jahren. Ich trug ein bodenlanges, roséfarbenes Paillettenkleid, darüber ein weißes Nerzjäckchen und Handschuhe, die bis über die Ellenbogen reichten. Mein Gesicht strahlte vor jugendlicher Frische und Ahnungslosigkeit.
Mir kamen zwangsläufig die Tränen, als ich auf das Foto sah, und als Hilary das bemerkte, schämte sie sich. Das wollte sie aber auf keinen Fall zugeben, und so griff sie mit einer betont ärgerlichen Geste nach ihrem
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