Zwei Herzen im Winter
pelzgefüttertem Umhang, nicht fror, fand Emmeline keinen Schlaf. Talvas hatte dicke Scheite aufgeschichtet, damit das Feuer bis zum Morgen nicht erlosch. Sie starrte abwesend in die Glut, aber immer wieder tauchten Bilder in ihr auf. Trotz ihrer bleiernen Müdigkeit fanden ihre Gedanken keine Ruhe.
Ein leises Klirren, eine Bewegung lenkten sie ab. Sie drehte den Kopf dem Geräusch zu, der weiche Pelz schmiegte sich an ihre Wange. Talvas lag ausgestreckt neben ihr, und sie blickte in seine geöffneten Augen. „Kannst du nicht schlafen?“
„Der Halunke hätte für das, was er dir angetan hat, hängen müssen, Emmeline.“ Er richtete sich halb auf. Sein Kettenhemd und das gepolsterte Wams hatte er abgelegt, er trug nur Hemd und Tunika über den Wollhosen und Stiefeln.
„Denk nicht mehr daran, Talvas“, flüsterte Emmeline. Sie hatte nicht erwartet, dass ihn ihre Vergangenheit so sehr bekümmerte.
Er nahm ihre Hand mit sanftem Druck. „Ich kann nicht, Emmeline. Ich kann deine Worte nicht vergessen. Kein Mann darf eine Frau so misshandeln.“
Eine prickelnde Hitze durchströmte ihren Arm, ihr Herz klopfte so schnell, dass sie in Atemnot geriet. Wie konnte es sein, dass eine harmlose Berührung von ihm diese Empfindungen in ihr auslöste? „So etwas geschieht doch ständig, Talvas. Die meisten Männer behandeln ihre Frauen schlecht.“ Sie erschauerte. „Deshalb habe ich mir an Giffards Grab geschworen, dass kein Mann je wieder Macht über mich haben darf, kein Mann soll mich je wieder besitzen.“
„Jammerschade“, flüsterte Talvas. Er drehte sich ihr zu und strich mit einem Finger unendlich zart über ihren Mund. „Du verleugnest deine wahren Gefühle.“
„Nein“, murmelte sie mit belegter Stimme. „Ich schütze mich.“
„Glaubst du das wirklich?“
Sie schloss die Augen.
„Küss mich“, bat er leise und hielt den Atem an, in der Befürchtung, sie würde sich ihm entziehen, sich wieder in ihrem Gefängnis der Angst und Abwehr verkriechen. Er aber wollte ihr Verlangen wecken, ihre Liebesfähigkeit wieder zum Blühen bringen, die dieser grausame Unhold mit seinen Misshandlungen in ihr verschüttet hatte.
Emmelines Lider flogen auf. Sein Gesicht war dem ihren sehr nahe, seine markanten Züge vor Verlangen angespannt. Ein sehnsüchtiges Beben erfüllte sie, zaghaft streckte sie die Hand nach ihm aus.
„Küss mich“, drängte er wieder, „und denk nicht darüber nach.“
Ihre Finger zogen den Schwung seines Mundes nach. Seine Lippen teilten sich unter ihrer Berührung, sie spürte seinen heißen Atem an ihrer Haut. Sie näherte ihm ihr Gesicht, ihr Mund streifte den seinen, kindlich scheu, vertrauensvoll. Die Berührung seiner kühlen, weichen Lippen entfachte die Glut ihrer Leidenschaft. Talvas umfasste stöhnend ihren Hinterkopf, zog sie näher an sich heran, konnte nicht widerstehen, den Kuss zu vertiefen. Seine Finger gruben sich in ihr Haar, glitten durch die seidige Lockenfülle.
„Was bedeutet dir die Liebe, Emmeline?“ Er löste atemlos den Kuss. „Würdest du es je wieder zulassen, dass ein Mann dich liebt?“
Seine Frage löste eine sengende Hitze in ihr aus. Sie wusste, was er damit sagen wollte, worum er sie bat. „Ehrlich gestanden, Talvas, kenne ich nur die Liebe eines einzigen Mannes, die meines Vaters. Eine andere kenne ich nicht.“
„Meinst du die Liebe in deiner Ehe, die dir gefehlt hat?“
„Pah! Liebe und Ehe haben nichts miteinander zu tun. Ehe bedeutet für die Frau Sklaverei und Unterdrückung. Aber Liebe … Liebe ist …“ Sie ließ den Satz unvollendet, da sie keine Erklärung fand.
„Ich muss dir widersprechen.“ Seine Stimme war ein tiefes Raunen. „Ein Mann, der eine Frau liebt, will sie beschützen und heiraten.“
Sie schüttelte traurig den Kopf. „Ich habe andere Erfahrungen gemacht.“
„Du hast dir dein Urteil in der unglücklichen Ehe mit Giffard gebildet.“ Talvas setzte sich auf und strich sich fahrig durchs Haar.
„Und worauf gründet deine Überzeugung?“ Ihre leise Stimme übertönte kaum das Knistern des Feuers. „Du bist der geborene Rebell, beugst dich keinem fremden Willen, gehst deinen eigenen Weg durchs Leben. Was weißt du schon von Liebe und Ehe, Talvas?“
Ein glühendes Scheit fiel in sich zusammen, Glut rollte auf den Boden, die er mit der Stiefelspitze zurück ins Feuer stieß. „Mehr als du ahnst, Madame.“
Lord Edgar of Waldeath wuchtete seine Leibesfülle aus dem geschnitzten Lehnstuhl und schleuderte die
Weitere Kostenlose Bücher