Zwei wie wir: Roman (German Edition)
du doch.«
»Schade.«
»Nichts zu machen.«
Sie zieht davon, ich lasse mich in den Sand fallen und sehe hoch in den Nachthimmel. Ich habe Inna seit drei Wochen nicht gesehen, länger als jemals zuvor in den zurückliegenden fünfzehn Jahren. Wenn ich die Augen schließe, höre ich ihre Stimme, rieche ihre Haut, spüre fast ihre Haut. Phantomschmerz. Unglaublich.
28
I c h wohne im Büro im Schuster’s. Mir haben zwar ein paar Leute angeboten, bei ihnen unterzukommen, aber ich ziehe es vor, alleine zu sein. Inzwischen habe ich mir ein aufklappbares Feldbett gekauft, weil die Isomatte auf Dauer zu unbequem wurde. Auch sonst habe ich ein paar Dinge angeschafft, die mir den Alltag erleichtern. Duschen kann ich bei Marie, einer Kundin, die im selben Haus wohnt.
Auf einmal bin ich wieder Single, zumindest auf Zeit, und trage für niemand anderes Verantwortung als für mich selbst. Nicht mal für meine Kinder. Keine Ahnung, wie lange ich das durchhalte. Natürlich vermisse ich sie. Julian und Emma. Aber mir ist auch klar, dass ich sie nicht in die Sache mit reinziehen darf.
Inna hat recht. Ich muss herausfinden, was ich will. Und darum war es richtig von ihr, dass sie mich bat zu gehen. Ich musste raus, um noch einmal zu spüren, wie es ist, allein zu sein. Es ist so, als hätte ich die Uhr noch einmal auf null gestellt. Als wäre das Blatt wieder weiß. Der Tag noch einmal jungfräulich.
Ich dachte immer, dass alle wichtigen Entscheidungen in meinem Leben vor vielen Jahren gefallen wären. Dass ich mich festgelegt hätte. Mit ihr, mit den Kindern, dem Haus, unseren Jobs, mit allem.
Aber das stimmt gar nicht. Alles ist offen. Ich bin frei. Inna hat mir etwas geschenkt, was ich ihr nie vergessen werde. Die Freiheit, mich noch einmal zu entscheiden. Für sie. Oder gegen sie. Für mein bisheriges Leben. Oder für ein neues. Es liegt ganz bei mir. Vorausgesetzt, sie will mich dann noch. Das Risiko besteht natürlich. Ich kenne Inna. Ich darf mir nicht ewig Zeit lassen.
E s vergehen ein paar weitere Tage. Ich schlafe im Büro, dusche bei Marie, flirte sogar mit ihr, verbringe die Vormittage im Schuster’s und die Nachmittage in der Sonne, ziehe abends mit Sascha oder anderen Leuten los, denke über mein Leben nach, lasse mich treiben, in der Hoffnung, so etwas wie eine Antwort zu finden.
29
H a llo Papa, hier ist Emma.« Meine Tochter ist am Telefon. Ich habe sie seit fast vier Wochen nicht gesehen.
»Hallo Emma, das ist aber schön, dass du anrufst.«
»Papa! Papa, wo bist du?«
»Ich bin unterwegs. Hat Mama dir das nicht gesagt?«
»Sie meinte, du warst böse, und darum bist du weg, um dich zu schämen.«
»Ja, das stimmt.«
»Was hast du Böses gemacht?«
»Hat sie dir das nicht gesagt?«
»Doch.« Emma druckst herum.
»Ach, darüber musst du dir auch gar nicht den Kopf zerbrechen, Schätzchen. Jedenfalls machen wir jetzt Urlaub, die Mama und ich.«
»Urlaub? Wo?«
»Voneinander. Weißt du, große Leute müssen das ab und zu.«
»Machst du auch Urlaub von mir?«
»Nein, von dir mache ich keinen Urlaub.«
»Dann musst du jetzt nach Hause kommen.«
»Das geht nicht. Noch nicht. Aber bald komme ich wieder.«
»Versprochen?«
»Ja, versprochen.«
I n na und ich telefonieren gelegentlich, aber immer nur wegen der Kinder. Kein persönliches Wort, wenn wir mal kurz so tun, als wenn Kinder nichts Persönliches wären. Sie will nichts hören. Der Ball liegt auf meiner Seite des Spielfelds.
Das Problem ist, dass ich jeden Tag mit einem neuen Gefühl aufwache. Diese Woche ist das beste Beispiel.
Montag: Von zu Hause auszuziehen war die beste Entscheidung, die ich seit Jahren getroffen habe. So ging es nicht weiter.
Dienstag: Ich vermisse Inna, und wenn ich diese Sache nicht bald wieder in Ordnung bringe, ramme ich mir die japanischen Küchenmesser in den Bauch, die Bernd für das Schuster’s besorgt hat.
Mittwoch: Es gibt geschätzte vier Milliarden Frauen auf diesem Planeten. Die fünfzehn Jahre, die ich mit einer einzigen verbracht habe, waren schon viel zu viel.
Donnerstag: Ich suche stundenlang nach den japanischen Messern. Bernd legt mir eine Hand auf die Schulter, blickt mich fürsorglich an und sagt: »Du kannst mit mir über alles reden.« – »Danke, Bernd. Es geht mir schon viel besser.«
Freitag: Ich habe die ganze Nacht damit verbracht zu überlegen, wie viele Freundinnen ich in meinem Leben hatte. Dann wird mir klar, dass Inna nicht einfach Freundin Nr. 18 ist. Sie ist mehr. Meine
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