Zweimal Hölle und zurück (German Edition)
armselig.
»Nichts da!« Ich knallte die Tür zu und erschrak, weil der verdammte Kühlschrank ein paar Zentimeter zur Seite schwankte. Blöde übermenschliche Vampir-Superkräfte, ausgelöst durch den Stress, meine Mom von einem Fiesling betatscht zu sehen! Wenn ich mit den Zähnen hätte knirschen können, ohne meine Lippen zu durchbohren, hätte ich es getan. »Du hast einen Kühlschrank mit überhaupt nix drin. Das perfekte Ende eines perfekten Tages.«
»Außerdem ist mir auch gerade 0-Negativ ausgegangen«, bemerkte Mom völlig entspannt und nicht im Geringsten geschockt. Hätte ich den Kühlschrank gewuchtet und aus dem Fenster geworfen, dann hätte sie mich lediglich gescholten, weil ich die Nachbarn belästigte. Vampire jagten meiner Mom keine Angst ein (sie hatte Sinclair schon geliebt, bevor ich mich in ihn verliebt hatte, was mehr als ärgerlich war).
Mom trat an den Kühlschrank, öffnete das Tiefkühlfach und holte einen Dreieinhalb-Liter-Eimer heraus, der mit mehreren Lagen Klarsichtfolie bedeckt war. Sie schob ihn mir zu wie einen Basketball in den letzten fünf Spielminuten, zog eine Schublade auf und reichte mir einen Suppenlöffel. »Da. Bevor du in wutschäumende Raserei verfällst und Clive wie einen Hund hetzt.«
»Clive ist ein dämlicher Name«, brachte ich gerade noch heraus, weil ich schon den Mund voll von Moms alkoholfreiem Erdbeer-Daiquiri-Sorbet hatte. Die Klarsichtfolie schwebte immer noch in Richtung Boden. Ich grub tiefer in das köstliche Sorbet. »Und das ist erst der Anfang.«
»Ich sag dir, was der Anfang ist.« Sie stieß den ausgestreckten Zeigefinger auf mich zu. »Deine Rechtfertigung. Sprich!«
Mom nötigte mich an den hellen Kieferntisch, an dem ich gegessen hatte, seit ich dem Hochstuhl entwachsen war. Moms Küche war (tagsüber) sehr sonnig, hell und blitzsauber. Ich hatte ihr Talent oder Interesse für Reinlichkeit leider nicht geerbt. Alle Küchengeräte strahlten mich an wie Chromwichte. Ich roch frisches Gemüse, Glasreiniger und den Jergens Moisturizer, den Mom benutzte. Vertraute Gerüche: Ich spürte förmlich, wie ich wieder zur Ruhe kam.
Ich schluckte, nahm einen weiteren Löffel voll, schluckte wieder. »Okay. Du erinnerst dich, dass du angeboten hast, Baby Jon ein paar Tage zu hüten?«
»Ja, und du hast Glück, dass dein Auftritt ihn nicht geweckt hat.«
»Er auch. Er hat in seinem Leben schon genug mitgemacht, ohne einen Clive kennenzulernen. Gott allein weiß, wie lange ich brauchen werde, um damit fertigzuwerden. Jedenfalls bin ich kurz danach in die Hölle gefahren, buchstäblich in die Hölle, und zwar mit Laura. Sie brauchte Hilfe, um zu lernen, wie sie ihre Fähigkeiten nutzen kann, und ich wollte herausfinden, wie ich das Buch der Toten lesen kann, ohne dabei verrückt zu werden.«
Mom hörte nickend zu. Als Historikerin hatte sie mit Tina viele Gespräche über die schlechte alte Zeit geführt. Damit sind die Jahre des Amerikanischen Bürgerkrieges von 1861 bis 1865 gemeint, die mit der Belagerung Fort Sumters durch die Konföderierten Südstaaten am zwölften April begannen und am vierzehnten April 1865 mit der Ermordung Abraham Lincolns endeten. Und nicht etwa am neunten April, dem Tag, als Lee und die übrigen Vollpfosten von Konföderierten kapitulierten. In Moms Augen waren die Schüsse auf Lincoln im Ford’s Theater der Abschlussakt der schlechten alten Zeit.
Bevor Sie jetzt ausflippen und glauben, ich wäre ein verrückter Bürgerkriegsfan, lassen Sie mich erklären, dass ich dieses ganze Zeug praktisch mit der Muttermilch aufgesogen habe. Buchstäblich mit der Muttermilch, wenn ich’s recht bedenke, denn Mom hat an ihrer Doktorarbeit gesessen, als ich in der Vorschule war. Deshalb habe ich das Alphabet ein wenig anders gelernt als die übrigen Vierjährigen. A stand für Antietam. B für Buchanan (James). C für Chinin. D für Davies (Jefferson). Und so weiter. Ich hätte ahnen sollen, dass die merkwürdigen Blicke, die ich in der Vorschule erntete, erst der Anfang meiner Probleme waren.
Was meine Mutter aber noch mehr faszinierte, als Tina auszufragen (»Wie war General Lee denn nun wirklich ?«), war das Mysterium, das sich um das Buch der Toten rankte. Mom wollte unbedingt herausfinden, wie man es untersuchen und lesen könnte. Ich brauchte eine Ewigkeit, um ihr auszureden, das widerliche Teil auszuleihen. Ich konnte mich nicht entsinnen, wann ich das letzte Mal die Taktik schrillen hysterischen Gebrülls und
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