Zweyer, Jan - Rainer Esch 01
Dank, daß du da bist.« Sie konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten und begann, hemmungslos zu weinen.
»Was ist denn los?« Esch schob die Tür zu. Er erschrak, als er das verheulte, traurige Gesicht seiner Freundin sah. »Was ist passiert, mein Schatz?«
Sie schluchzte: »Klaus. Klaus ist tot.«
»Was?« Er verspürte einen Schlag im Magen. Sein Puls wurde schneller. »Klaus ist tot? Wie ist das passiert?«
»Die Polizei war heute abend bei mir. Sie haben ihn gefunden. Sie sagen Selbstmord. Aber, das kann doch gar nicht sein«, sprudelte es aus ihr heraus.
Rainer schob seine Freundin zärtlich Richtung Sofa. »Komm, setz dich hier hin. Und jetzt erzähl mal in aller Ruhe.«
14
Seinen Umzug von Dinslaken nach Recklinghausen wickelte Cengiz Kaya in seinem Kadett ab. Jeans, Pullover, Hemden, T-Shirts und das ganze andere Zeug paßten in seine zwei großen Koffer. Hausrat besaß er keinen, wenn man von drei Henkeltassen, zwei Tellern, einer Pfanne und einem Topf sowie einigen wirklich guten Messern, Erbstücke seines Vaters, absah. Da er sich ohnehin meist von den Fertiggerichten aus der Kantine des Bergwerks ernährte, waren Geschirr und ähnliche Accessoires für ihn im Moment nur unnötiger Ballast. Außerdem sollte sich, wenn er sie denn nur schon gefunden hätte, darum seine spätere Frau kümmern.
Probleme machte nur der 17-Zoll-Monitor seines Computers, den er erst im Kofferraum seines Wagens verstauen konnte, nachdem er die beiden Koffer auf dem Rücksitz drapiert hatte.
Seine Kakteensammlung, bestehend aus einigen Dutzend Pflanzen unterschiedlicher Größe, fand im Fußraum des Fonds und vor dem Beifahrersitz Platz. Kakteen, fand Cengiz, hatten den unschätzbaren Vorteil, daß sie auch längere wasserlose Perioden ohne größere Schäden überstehen konnten. Und da er nur sporadisch daran dachte, die Pflanzen zu gießen, ergänzten sich deren Bedürfnislosigkeit und seine Nachlässigkeit im großen und ganzen recht harmonisch.
So waren seine spärlichen Habseligkeiten in weniger als einer halben Stunde verstaut. Das Auspacken in Recklinghausen dauerte nur unwesentlich länger. Es hatte schon Vorteile, mit nicht zuviel Gepäck zu reisen. In dieser Hinsicht unterschied sich Cengiz kaum von seinen türkischen Landsleuten in den Wohnheimen. Im Gegensatz zu ihnen sparte er sein Geld aber nicht, um es den Familienangehörigen in der Heimat zu schicken. Heimat war für ihn Deutschland. In seinen Träumen bewohnte er mit Frau und Kindern ein Einfamilienhaus im Grünen, hatte sich beruflich weitergebildet und war als Führungskraft auf einem Bergwerk tätig. Kaya sah seinen Lebensmittelpunkt in der Bundesrepublik und erwog ohnehin schon länger, einen Antrag auf Einbürgerung zu stellen.
Er richtete sich in seinem Zimmer im Wohnheim ein.
Schwierigkeiten bereitete auch dabei nur der Computer, der mit Monitor und Drucker so recht nicht auf den einzigen, zudem etwas altersschwachen Tisch passen wollte. Wenn die Putzkolonne nachlässig war und beim Wischen gegen das hintere Tischbein stieß, konnte dies zu einem Computergau führen. Cengiz beschloß, sich am nächsten Morgen sofort um einen Computertisch zu bemühen, um jegliches Risiko auszuschalten.
Der Samstag vormittag war diesig und für die Jahreszeit etwas zu kühl. Kaya machte sich auf den Weg in die Stadt.
In einer Konditorei am Rande der Innenstadt bestellte er zum Frühstück vier Brötchenhälften, belegt mit Käse und Schinken, ein hartgekochtes Ei und ein Kännchen Kaffee. Nachdem er gesättigt war, wandte er seine Aufmerksamkeit den Werbeprospekten zu, die der WAZ beigelegt waren. Schon im ersten wurde er fündig. Ein Baumarkt an der Herner Straße bot preiswert einen Computertisch an. Zufrieden studierte er anschließend die Wohnungsangebote. Fast alle Wohnungen waren zu groß oder zu teuer. Da fiel ihm eine Anzeige ins Auge:
Vermiete, App. 58 qm, Du, WC, möbl, z. 1.10. frei, KM 450.-, NK 120.-
fest, 3 MM Kaution, Tel. Sa. ab 10.00,
02323/390809.
Er sah auf die Uhr. Es war kurz vor zehn.
Cengiz Kaya bezahlte und suchte die nächste Telefonzelle.
»Köster«, meldete sich eine Frauenstimme.
»Guten Tag, mein Name ist Kaya, ich rufe wegen der Anzeige an. Ist die Wohnung noch frei?«
»Wie war Ihr Name, bitte?«
»Cengiz Kaya.« Er wartete darauf, daß sein Gegenüber auflegte. Solche bitteren Erfahrungen hatte er schon mehrmals machen müssen.
»Sind Sie Türke?«
»Ja, aber in Deutschland geboren.«
»Ach, deshalb
Weitere Kostenlose Bücher