Zweyer, Jan - Rainer Esch 03
der Leiche?«
»Unser Bergwerk hat insgesamt eine untertägige Ausdehnung von etwa fünf mal zehn Kilometern…«
»Was, so viel?«, staunte der Hauptkommissar.
»Ziemlich groß, was? Ja, und da ist die Verbindungsstrecke zu unserem Anschlussbergwerk im Norden nicht mitgerechnet.«
»Welches Anschlussbergwerk?«
»Der Bergbau folgt von Süden nach Norden den Kohleflözen der Lagerstätte. Wir haben nördlich von Emscher und Lippe keine fördernden Bergwerke mehr, sondern nur noch Schächte, durch die, vereinfacht gesagt, die Bergleute zu ihrem Arbeitsplatz kommen. Lediglich die Kohle wird durch Förderstrecken zwanzig, dreißig Kilometer unter Tage transportiert. Würden wir das mit unseren Bergleuten machen, wären sie Stunden unterwegs. Da die Schicht über Tage am Schacht beginnt…«
»Verstehe. Da bliebe dann keine Zeit mehr für die eigentliche Arbeit.«
»So ist es. Außerdem liegen die Anschlussbergwerke häufig in landschaftlich sensiblen Gegenden. Da bekämen wir heute ohne große öffentliche Auseinandersetzung keine Genehmigung mehr, ein förderndes Bergwerk zu bauen, das ja sehr viel Platz benötigen würde.«
»Aha. Dann gibt es also eine Verbindung vom Anschlussbergwerk… wo liegt das eigentlich?«
»In der Haard. In der Nähe von Haltern.«
»Dann gibt es eine Verbindung unter Tage von da nach hier?«, fragte Brischinsky interessiert.
»Genau. Hier.« Master zeigte auf ein dicke, schwarze Linie auf dem Grubenriss.
»Dann könnte also auch ein Bergmann von da unter Tage zum Fundort der Leiche gelangen?« Brischinsky schluckte kurz und fragte dann weiter: »Wie viele Bergleute arbeiten denn auf einem solchen Anschlussbergwerk?«
»Zu Ihrer ersten Frage: theoretisch ja. Zu Ihrer zweiten: in der Haard etwa 1.250.«
Brischinsky schluckte erneut. Der Kreis der potenziellen Täter hatte sich gerade drastisch vergrößert. »Was meinen Sie mit ›theoretisch‹, Herr Master?«
»Sie müssen sich die Entfernung vergegenwärtigen, Herr Kommissar. Das sind gute fünfundzwanzig Kilometer. Da müssen Sie schon sehr gut zu Fuß sein, um das in einer Schicht hin und zurück zu schaffen.«
»Aber es wäre doch möglich, an der Haard ein-und hier wieder auszufahren, oder?«
»Na ja«, gestand der Werksleiter ein, »das wäre möglich, natürlich. Theoretisch, wie gesagt. Allerdings müssen Sie an die Bekleidung des Betreffenden in der Kaue im Anschlussbergwerk denken. Meinen Sie nicht, dass ein Bergmann, der das Bergwerk verlässt, ohne sich zu duschen und umzuziehen, ziemlich auffallen würde?«
Dass Brischinsky daran nicht gedacht hatte, ärgerte ihn etwas. »Könnte der Täter denn nicht mit einem Zug oder einem anderen Hilfsmittel…«
»Auch wieder ein theoretisches Ja. Praktisch nicht. Eine Zugverbindung gibt es nicht und selbst wenn, Personenzüge fahren nur zum Schichtwechsel planmäßig. Ansonsten werden sie nach Anweisung bereitgestellt. Die Benutzung des Förderbandes als Transportmittel ist zwar prinzipiell möglich, aber…«
»Was aber?«
»… in der Nachtschicht am Sonntag wurde in der Haard nicht gefördert. Folglich kamen von dort keine Kohlen und es gab auch keine Bandfahrung. Nein, Ihr potenzieller Täter… ich nehme stark an, daher rührt Ihr Interesse an den untertägigen Befahrungsalternativen… musste, wenn er von der Haard gekommen sein sollte, schon laufen. Und, wie gesagt, das sind fünfundzwanzig Kilometer pro Strecke. Zu weit, wenn Sie mich fragen.«
»Na gut. Wie lange kann sich denn ein Bergmann von seinem Arbeitsplatz entfernen, bis es auffällt? Eine Stunde, zwei? Was meinen Sie?«
Master dachte einen Moment nach. »Ich würde sagen, maximal drei bis vier Stunden. Das hängt natürlich von der Art der Arbeit ab. Sicher gibt es Bergleute, die überwiegend auf sich gestellt, einiges entfernt von ihren Kollegen arbeiten. Da kann es dann sicher schon einmal vorkommen, dass…«
»Vernachlässigen wir diese Alternative zunächst. Wenn wir von einer Abwesenheit von, sagen wir, vier Stunden ausgehen, bedeutet das eine zurückgelegte Wegdauer von maximal zwei Stunden. Wo haben in der Mordnacht zwei Stunden vom Fundort der Leiche entfernt Bergleute gearbeitet? Können Sie das ermitteln? Und mir eine namentliche Aufstellung geben?«
»Das kann ich Ihnen ad hoc natürlich nicht sagen. Aber unser Computer müsste Ihnen anhand der Betriebspunktanalyse eine solche Liste erstellen können. Moment bitte.« Master gab über Telefon die erforderlichen Anweisungen.
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