Zwillingsbrut
dieser Größe. Meine Eltern …« Sie wedelte mit den Fingern. »Es war besser so.«
Kacey war sich da nicht so sicher. Sie hatte sich nicht vorstellen können, eine lieblose Ehe mit Jeffrey aufrechtzuerhalten. So etwas ging auf gar keinen Fall. Doch Maribelle presste die Lippen aufeinander. Defensiv.
»Dad ist tot«, sprach Kacey das Offenkundige aus. Ihr Herz schmerzte bei dem Gedanken an den Mann, den sie für ihren Vater gehalten hatte. »Du … du hättest es mir sagen können.«
»Da war es schon zu spät.«
»Es ist auch jetzt nicht zu spät.« Kaceys Magen schmerzte. All die Lügen. All die Heuchelei. Ihr ganzes Leben – ein einziger Betrug. Und doch ergab alles irgendwie einen verqueren Sinn.
»Wer ist mein biologischer Vater?«, fragte Kacey.
Ihre Mutter trank ihren Wein aus und stellte das leere Glas auf dem Kaminsims ab. »Spielt das eine Rolle?«
»Selbstverständlich. Und zwar eine ganz gewaltige! Frauen werden umgebracht,
Mom.
Frauen, mit denen ich vermutlich genetisch verwandt bin.«
»Genau das ist das Problem mit der Wissenschaft –«
»Du warst Krankenschwester, Mom«, fiel Kacey ihrer Mutter ins Wort. »Du glaubst an die Wissenschaft.«
»Nun, die Wissenschaft geht zu weit. Greift zu sehr in die Privatsphäre ein, ach was, es gibt schon gar keine Privatsphäre mehr! Wenn du mich fragst: Die Leute sollten einander einfach in Ruhe lassen!«
»Aber hier geht es um
mein
Leben, Mutter!«
Maribelle rieb sich die Arme, als wäre ihr plötzlich eiskalt. »Ich möchte wirklich nicht darüber reden.«
»Das hast du ja schon fünfunddreißig Jahre vermieden!« Kacey konnte kaum glauben, was sie da hörte. Ihr ganzes Leben war eine einzige Lüge gewesen. »Mutter, es sterben Frauen!«
»Bei Unfällen! Glaubst du wirklich, jemand bringt Frauen um, die aussehen wie du, bloß weil er auf eine genetische Verwandtschaft tippt? Um Himmels willen, Kacey, du müsstest dich mal hören!«
»Wer ist er?«
»Es gibt keinen Grund, deinen Vater damit zu belästigen.«
»Er
ist nicht
mein Vater«, fauchte Kacey. »Du warst mit meinem
Vater
verheiratet. Dieser andere Mann? Ist er noch am Leben?«
»Ja.«
»Hast du noch Kontakt zu ihm?«
»Nein, selbstverständlich nicht.«
»Weiß er von mir?«, fragte sie, und als ihre Mutter nicht antwortete, drängte sie weiter: »Und die anderen …« Die Gesichter der toten Frauen schossen ihr durch den Kopf, Frauen, deren Züge den ihren so sehr glichen. »Weiß er von ihnen? Sind sie …« Sie schüttelte den Kopf.
Nein, das war durch und durch falsch. Plötzlich bezweifelte sie, ob es richtig gewesen war, zuerst hierherzukommen. Doch jetzt durfte sie nicht aufgeben. Mit einer Stimme, die sie kaum als ihre eigene erkannte, fragte sie: »Willst du mir etwa sagen, dass dieser … dieser Mann durch die Gegend gelaufen ist und Frauen geschwängert hat, nur um sie dann wieder sitzenzulassen?«
Maribelle schwieg.
»Mom …?« Da steckte noch mehr dahinter, und Kacey wappnete sich. »Was verschweigst du mir?«
Sämtliche Kraft schien Maribelle zu verlassen, und sie kehrte an ihren Platz auf der Couch zurück. Ihre Augen waren auf die Flammen im Kamin gerichtet, doch Kacey wusste, dass sie etwas ganz anderes vor sich sah. In Gedanken war sie weit fort, an einem Ort, den nur sie kannte, ein Ort, der in ferner Vergangenheit lag. »So war es nicht. Du musst das verstehen. Er ist ein feiner, anständiger Mann. Eine Stütze der Gesellschaft. Die Leute blicken zu ihm auf … Unsere Liebe kam von Herzen.«
Sie hatte diese Beziehung zu etwas Reinem, Besonderem, Einzigartigem verklärt, und sie hielt noch immer daran fest, nach mehr als drei Jahrzehnten.
»Ich weiß, das denken alle«, sagte sie, als hätte sie Kaceys Gedanken gelesen, »und es ist genau der Grund dafür, dass die Leute ihre Ehepartner betrügen: weil diese neue Beziehung so aufregend ist und ja, eben neu. Aber unsere Liebe …«
Ein glückseliges Lächeln umspielte Maribelles Mundwinkel, als sie sich zurückerinnerte. Sie schien tatsächlich anzunehmen, dass das, was sie mit diesem Mann geteilt hatte, einmalig war. Maribelle schluckte, dann warf sie ihrer Tochter einen strengen Blick zu. »Du würdest das ohnehin nicht verstehen.«
»Sei nicht so herablassend, Mom!«, rief Kacey, der die Situation zutiefst zuwider war. »Wer ist er?«
Schweigen.
»Maribelle?«
»Ich habe mir geschworen, seinen Namen niemals preiszugeben, und ich habe diesen Schwur bis heute nicht gebrochen.«
»Dann werde
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