Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters
ausgesprochen komfortablen, einige Meilen von Wiesbaden entfernt liegenden Kurhotel getroffen, und ausnahmsweise einmal hatte er seine Frau mitnehmen können. Die Deutschen hatten für ein entzückendes Damenprogramm gesorgt, so dass er und seine Kollegen ganz ungestört arbeiten konnten, während die Gattinnen Sehenswürdigkeiten am Rhein besuchten, abends hatte man dann die Mahlzeiten gemeinsam eingenommen. Es war wirklich überaus reizend gewesen, bei der eher schlichten und lockeren Zusammenkunft am Freitagabend hatte der Gastgeber Bergs Gattin zu Tisch geführt, während Berg beim samstäglichen Festmahl den Ehrenplatz eingenommen hatte.
Auf die Deutschen ist wirklich Verlass, dachte Berg. Das sind Leute, die sich in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen um Form und Inhalt gleichermaßen kümmern.
Am Sonntag hatten seine Frau und er sich in die Maschine nach Kopenhagen gesetzt. Von dort aus war seine Frau nach Stockholm weitergeflogen, da sie am Montag wieder unterrichten musste. Er war mit dem Luftkissenboot nach Malmö übergesetzt, hatte im Savoy eingecheckt, ein einfaches Abendbrot verzehrt und sich zur Ruhe begeben.
Am Montagmorgen hatte er eine Besprechung mit seinen Kollegen aus Malmö angesetzt, doch ehe sie am Konferenztisch Platz genommen hatten, hatte er seine Sekretärin in Stockholm angerufen. Er hatte bereits seit zweieinhalb Tagen keinen Zugang mehr zu seinem sicheren Telefon gehabt.
»Waltin bittet um Anruf«, sagte seine Sekretärin. »Es geht um Citizen Kane«, fügte sie hinzu. Wo hab ich diesen Namen nur schon mal gehört?, überlegte sie.
Krassner, dachte Berg, und als er viel später an diesen Moment zurückdachte, fiel ihm ein, dass er schon damals eine böse Vorahnung verspürt hatte. Unklar, warum, aber so war es gewesen.
Waltin hatte sich äußerst sorglos angehört. Fast, als gehe ihn das alles überhaupt nichts an.
Berg staunte darüber. Damals und später auch.
»Wie ist es gelaufen?«, fragte Berg.
»Ganz hervorragend«, sagte Waltin. »Wir haben uns offenbar ganz unnötig Sorgen gemacht.« Ich nicht, aber du, dachte er, sprach es aber wohlweislich nicht aus.
»Wie meinst du das?«, fragte Berg.
»Ich habe mir eben die Ergebnisse seiner so genannten intellektuellen Bemühungen angesehen, und die kommen mir vor wie der pure Blödsinn.«
»Erzähl«, sagte Berg.
»An die fünfzig Seiten mit hochgradig verwirrten Notizen. Texte der unterschiedlichsten Art, ein paar Entwürfe zu etwas, das vielleicht mal ein Krimi werden sollte, möglicherweise auch eine Dokumentation, aber vermutlich irgendwas dazwischen.«
»Und worum geht es?«, fragte Berg.
»Ich schlage vor, darüber reden wir, wenn wir uns treffen«, sagte Waltin und hörte sich dabei ziemlich zufrieden an. »Ich will das mal so sagen. Wir beide und viele hier im Haus haben an dasselbe gedacht.«
Ach, dachte Berg. So ist das also. Das hatte er ja schon geahnt.
»Ist sonst noch was passiert?«, fragte er.
»Er hat am Freitagabend Selbstmord begangen«, sagte Waltin, und sein Tonfall verriet, dass er nicht zum engsten Kreis der Trauernden gehörte.
»Ich komme hoch«, sagte Berg. »Sorg dafür, dass ich vom Flughafen abgeholt werde.«
Noch ein Wirrkopf, dachte Waltin.
Berg und Waltin hatten den ganzen Nachmittag miteinander verbracht, und als sie sich trennten, war keiner mit dem anderen sonderlich zufrieden, obwohl sie das gut zu tarnen wussten.
Er hat etwas Unbedachtes, dachte Berg. Etwas Kindisches, charakterlich Unfertiges, dachte er.
»Wir halten uns bedeckt«, sagte er. »Ich übernehme jetzt die Sache. Ich werde dich natürlich auf dem Laufenden halten.«
Waltin zuckte seine maßgeschneiderten Schultern. Berg kann bald in der Kurdenabteilung anfangen, dachte er. Zusammen mit diesen anderen beiden Glühwürmchen.
»Fine with me«, sagte er. »Aber du machst dir unnötig Sorgen.«
Zuerst hatte Waltin den geleisteten Einsatz geschildert. An sich war alles nach Plan verlaufen, wenn man ihm Glauben schenken durfte. Der Kollege war in die Wohnung gegangen, hatte seine Arbeit erledigt und das Haus wieder verlassen, er war von niemandem beobachtet worden, und darauf kam es ja schließlich an. Göransson und Martinsson hatten zwar Pfuschwerk geliefert und Krassner aus den Augen verloren, aber man hatte doch Glück gehabt. Krassner hatte Selbstmord begangen, und zwar aus eigener Kraft. Ob er angetrunken gewesen war und nur seine neuen Schwingen testen wollte oder ob er plötzlich sein verlorenes Leben erkannt
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