Zwischen Diesseits und Jenseits
bleiben?«
»Ja.«
»Gut, damit kann ich leben. Aber ich muss auch damit rechnen, dass ihr Mörder zurückkehrt, während ich mich noch im Haus aufhalte. Das darf man nicht vergessen.«
»Ja, das ist möglich. Bleibt es denn noch immer bei deinem Verdacht?«
»Die Bisse sahen schrecklich aus. Ich stelle mir vor, dass sie nur von dem Puma stammen können.«
»Und was ist mit Pasquale?«
»Ihn muss ich noch suchen.«
»Aber du rechnest damit, dass er ein... Veränderter geworden ist?« Der Mann vermied bewusst das Wort Vampir.
»In der Tat«, erwiderte Ignatius. »Ich muss damit rechnen. Tut mir Leid, dass ich es nicht verhindern konnte, aber diese andere Welt schafft es tatsächlich, sich in die unsrige, die normale hineinzudrängen. Dagegen können wir nichts tun. Es ist eine Schnittstelle zwischen Himmel und Hölle oder dem Diesseits und dem Jenseits entstanden. Sie befindet sich dort, wo dieses Haus steht, und genau das ist mein großes Problem. Denn ich weiß nicht, wer im Hintergrund die Fäden zieht.«
Es hörte sich an, als würde der andere kurz lachen, bevor er sagte: »Kann es nicht der Leibhaftige sein?«
»Auch.«
»Was sagt dein Freund Sinclair?«
Er denkt ebenso, schließt aber andere Möglichkeiten nicht aus. Auch an ihn sind sie in seinen Träumen herangetreten. Vielleicht müssen wir davon ausgehen, dass es dem Leibhaftigen gelungen ist, seine Schreckenswelt und die Träume der Menschen miteinander zu verbinden, um so ein neues Reich aufzubauen.«
»Deine Worte können mir nicht gefallen, mein Freund.«
»Mir gefallen sie auch nicht. Aber muss ich denn sagen, wie nahe das Böse uns oft ist? Selbst vor unseren schützenden Mauern macht es manchmal nicht Halt.«
»Leider.«
»Gut, dann werde ich deinem Rat folgen. Ich bleibe hier, versuche, die Nacht zu überleben, und warte auf John Sinclair. Alles andere wird sich dann ergeben.«
»Ich segne dich, Bruder Ignatius.«
»Danke.«
Nach diesem Wort legte Ignatius auf. Ein verlorenes Lächeln spielte um seine Lippen. Die Handflächen waren feucht geworden, weil der Schweiß an ihnen klebte. Er schob den Apparat von sich weg und senkte den Kopf. Für einen Moment wollte er Ruhe haben und an nichts anderes denken. Er drückte seinen Kopf so tief, dass er mit der Stirn die Platte des Tisches berührte. Für eine Weile einfach nichts mehr sehen und auch nichts mehr hören. Dem Grauen entwischen und daran denken, dass das Leben auch normal sein konnte.
Father Ignatius war keine Maschine und reagierte wie ein Mensch. Und beinahe wünschte er sich die alten Zeiten zurück, die er im Kloster St. Patrick verbracht hatte, in den schottischen Bergen.
Wie viel Zeit vergangen war, bis er wieder den Kopf anhob, wusste er nicht. Mit einer steifen Bewegung stand er auf und hatte das Gefühl, sogar geschlafen zu haben. Mit hundertprozentiger Sicherheit konnte er es nicht sagen, aber er fühlte sich etwas besser und auch erfrischter.
Die zweite Morgenstunde war bereits angebrochen, und als er wieder einen Blick aus dem Fenster warf, da sah er nicht nur in die Dunkelheit hinein, sondern auch in dünne Nebelschwaden, die durch das Gelände trieben und ein Erkennen der Situation so gut wie unmöglich machten.
Was versteckte die Dunkelheit? Die normale Welt? Oder wieder eine andere, die voller Grauen war?
Er konnte es nicht sagen. Die Welt war im Nebel verschwunden. Es hatte zudem keinen Sinn, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, den brauchte er jetzt für andere Dinge.
Noch hatte er Pasquale nicht gesehen. Es drängte ihn danach, ihn zu finden. Ob er sich im Haus aufhielt oder draußen, wer wusste das schon?
Aber jemand wie er konnte durchaus die Räume und Flure hier wie ein tödliches Gespenst durchstreifen.
Er fragte sich auch, ob das Gefühl, das ihn leitete, Angst war oder nur Spannung. Vielleicht kam beides zusammen, und mit diesem Gedanken öffnete er die Tür so weit, dass er wieder hinaus in den Gang schauen konnte.
Er war noch immer leer. Das beruhigte ihn und sorgte dafür, dass es ihm etwas besser ging. Dennoch konnte er sich in diesem großen Haus nur allein fühlen, das ihm jetzt vorkam wie eine gewaltige düstere Burg, in der ein König der Schatten herrschte und alles in sich einsaugte, was ihm nicht gehörte.
Der Rest der Nacht würde noch lang werden, das wusste Ignatius. Er dachte nicht im Traum daran, die Stunden hier oben zu verbringen. Auch nicht in seinem normalen Zimmer. Für ihn war es wichtig, dass er immer in der Nähe
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