Zwischen Himmel und Liebe
korrekten Reihenfolge im Schrank hingen, links dunkle Farben und dann immer heller. Allerdings gab es sehr wenig Farbe in ihrer Garderobe. Schon beim kleinsten Farbklecks hatte sie das Gefühl, sie würde in grellem Neon herumlaufen. Sie saugte den Boden, wischte Staub auf den Spiegeln, polierte sie, rückte die drei kleinen Handtücher im Badezimmer zurecht und nahm sich ein paar Minuten Zeit, bis die Streifen perfekt aufeinander lagen. Die Armaturen funkelten, und sie rieb und rubbelte wie besessen, bis sie sich in den Kacheln spiegeln konnte. Gegen halb sieben war sie auch mit dem Wohnzimmer und der Küche fertig, und da sie sich jetzt etwas weniger unruhig fühlte, setzte sie sich mit einer Tasse Kaffee in den Garten und sah sich als Vorbereitung für das morgendliche Meeting noch einmal ihre Entwürfe an. In dieser Nacht hatte sie nicht mehr als drei Stunden geschlafen.
Benjamin West verdrehte die Augen und knirschte vor Frust mit den Zähnen, während sein Chef im Baucontainer auf und ab tigerte und in seinem New Yorker Slang laut vor sich hinschimpfte.
»Sehen Sie, Benji, ich hab einfach …«
»Benjamin«, unterbrach er.
»… die Nase gestrichen voll davon, von all diesen Leuten den gleichen Scheiß zu hören«, fuhr er fort, ohne Benjamin zu beachten. »Diese Designer sind doch alle gleich. Ein modernes Dies und ein minimalistisches Jenes. Die können mich mal kreuzweise mit ihrem Art déco, Benji!«
»Bitte nennen Sie …«
»Ich meine, wie viele von diesen Leuten haben wir jetzt gesprochen, seit wir hier sind?« Er blieb stehen und starrte Benjamin fragend an.
Der blätterte in seinem Terminkalender. »Hmm, acht – ohne die Frau, die am Freitag früher gehen musste, diese Elizabeth …«
»Spielt keine Rolle«, fiel er ihm ins Wort, »die ist garantiert auch nicht anders.« Mit einer wegwerfenden Handbewegung drehte er sich um, um aus dem Fenster zur Baustelle hinüberzusehen. Sein dünner grauer Zopf begleitete schwingend jede Kopfbewegung.
»Tja, wir haben in einer halben Stunde noch ein Meeting mit ihr«, gab Benjamin zu bedenken und blickte auf seine Armbanduhr.
»Sagen Sie es ab. Mich interessieren ihre Vorschläge nicht die Bohne. Die sind garantiert mindestens so langweilig wie die anderen. An wie vielen Hotels haben wir jetzt schon gemeinsam gearbeitet, Benji?«
Benjamin seufzte. »Ich heiße Benjamin, und wir haben schon eine Menge Hotels zusammen gebaut, Vincent.«
»Eine Menge«, wiederholte Vincent und nickte, »das hab ich mir gedacht. Und wie viele davon hatten so eine tolle Lage wie das hier?« Er gestikulierte großräumig in die Umgebung. Ohne großes Interesse drehte sich Benjamin in seinem Stuhl um – er konnte sich nur mit Mühe dazu bringen, über den Lärm und Schmutz der Umgebung hinwegzusehen. Sie hinkten beträchtlich hinter dem ursprünglichen Zeitplan her. Sicher, es war hübsch hier, aber er hätte statt der sanften Hügel und Seen vor dem Fenster lieber schon ein vollständiges Hotel erblickt. Seit zwei Monaten war er inzwischen in Irland, und das Hotel sollte im August fertig sein, also noch zwei Monate. Er war in Haxton, Colorado geboren, lebte jetzt in New York und hatte eigentlich geglaubt, dem klaustrophobischen Gefühl einer Kleinstadt entflohen zu sein. Aber offensichtlich hatte er sich zu früh gefreut.
»Nun?« Vincent zündete sich eine Zigarre an und nuckelte daran herum.
»Schöne Aussicht«, stellte Benjamin gelangweilt fest.
»Es ist eine verdammt fantastische Aussicht, und ich lasse nicht zu, dass irgend so ein Schlaftablettendesigner dafür sorgt, dass hier am Ende ein Kasten steht, der aussieht wie jedes blöde City-Hotel von der Sorte, wie wir schon Millionen gebaut haben.«
»Was haben Sie denn im Sinn, Vincent?« In den letzten zwei Monaten hatte er von Vincent zwar viel zu diesem Thema gehört, aber er hatte sich immer nur darüber ausgelassen, was er
nicht
wollte.
Vincent – wie üblich in einem glänzenden grauen Anzug – marschierte zu seiner Aktentasche, holte einen Ordner heraus und schob ihn über den Tisch zu Benjamin. »Sehen Sie sich mal diese Zeitungsartikel an, das hier ist eine wahre gottverdammte Goldmine. Ich will, was die Leute wollen, und denen steht der Sinn nicht nach irgendeinem Nullachtfünfzehn-Hotel, sondern nach einer romantischen, fantasievollen Anlage, die einfach Spaß macht. Nichts von dem ganzen modernen sterilen Zeug. Wenn der Nächste hier reinspaziert und mir mit den gleichen beschissenen
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