Zwischen Leidenschaft und Liebe
ihn drückte, biß sie die Zähne zusammen, weil sie sonst laut aufgeschrien hätte vor Schmerz.
»Er scheint aber nicht gebrochen zu sein. Offenbar ist er nur verstaucht.« Er küßte sie auf die Nasenspitze. »Wenn ich gewußt hätte, daß du ausreiten würdest, wäre ich mitgekommen.«
Sie schmiegte sich an ihn, und er legte die Arme um sie und drückte sie an sich. »Du bist so warm«, flüsterte sie. Und so unkompliziert und gut, dachte sie. Du bist so ganz anders als dieser andere Mann, dieser Trevelyan.
Er lachte. »Ich bringe dich jetzt ins Haus zurück, und dann lassen wir einen Arzt kommen, der deinen Arm untersucht. Du bleibst den ganzen Tag im Bett. Ich möchte nicht, daß du dich erkältest.«
»Kann ich auch ein Feuer im Kamin haben?«
»Ich werde dafür sorgen, daß es ein großes, prasselndes Freudenfeuer wird. Und notfalls plündern wir alle Betten im Haus, bis du so viele Decken hast, daß du nie mehr frierst.«
»Harry, ich liebe dich.«
Er beugte sich wieder zu ihr, offenbar in der Absicht, ihr einen Kuß zu geben. Doch Claire wich ihm aus, denn wenn sie ein bißchen Ahnung davon hatte, wie es auf der Welt zuging, so mußte sie damit rechnen, daß sie in diesem Moment beobachtet wurden.
Harry lachte nur, hob sie in den Sattel seines Pferdes und stieg hinter ihr auf.
Sie hörten beide nicht, wie Trevelyan sich durch den Wald entfernte.
3. Kapitel
Ein lautes Seufzen weckte Harry aus dem Schlaf. Widerwillig öffnete er die Augen. Im Raum herrschte ein unheimliches rötliches Licht, und am Fuß seines Bettes stand ein Ungeheuer. Es war mindestens einsachtzig groß, ganz in Schwarz gehüllt und hatte das scheußlichste Gesicht, das ihm in seinem Leben vor Augen gekommen war.
Benommen setzte sich Harry auf und schob den Kopf ein wenig vor, damit er das Monster, das so fürchterlich stöhnte, als wäre es erst vor kurzem getötet worden und auf die Erde zurückgekehrt, um die Lebenden zu erschrecken, besser in Augenschein nehmen konnte. Er gähnte. »Onkel Cammy, wenn du das bist, solltest du dich lieber wieder ins Bett legen. Sonst verschläfst du das Frühstück.«
Da hörte das Ungeheuer auf zu stöhnen, stieg vom Schemel am Fußende des Betts, trat an dessen Seite und nahm die Maske ab. Was die Vermummung nicht geschafft hatte, brachte die Demaskierung zustande: Harry war plötzlich hellwach.
»Bist du das wirklich?« flüsterte er. »Trevelyan?«
Trevelyan entfernte das schwarze Tuch, mit dem er sich verkleidet hatte, und grinste seinen jüngeren Bruder an. »Kein anderer.«
Harry setzte sich gerade und lehnte sich gegen das gepolsterte Kopfteil seines Betts. »Schenkst du mir einen Whisky ein? Er steht dort auf dem Tisch.«
Trevelyan füllte zwei Gläser bis zum Rand mit schottischem Malzwhisky, reichte eines davon seinem Bruder und setzte sich auf einen großen, reichbeschnitzten Eichenstuhl in der Nähe des Bettes. »Ist das alles, was ich bekomme? Ein >Bist-du-das Kein fettes Kalb zur Begrüßung? Keine Willkommens-Parade?«
Harry nahm einen kräftigen Schluck von seinem Whisky. »Weiß Mutter schon, daß du hier bist?«
Trevelyan leerte sein Glas auf einen Zug und füllte es zum zweitenmal. »Nein.« Er musterte Harry aus schmalen Augen. Nicht wenige Leute hatten die Eindringlichkeit beschrieben, mit der Trevelyan sie anzublicken pflegte. Alle, die ihm persönlich begegnet waren, hatte die Ausdrucksfähigkeit seiner Augen am nachhaltigsten beeindruckt. Sie waren schwarz, bezwingend und flammend im Zorn.
Harry trank nun ebenfalls sein Glas aus. Er haßte Szenen. Jeder Streit war ihm zuwider, und er wußte, daß die Rückkehr seines Bruders von den Toten zu heftigen Auseinandersetzungen in der Familie führen mußte.
»Sie sollte es aber erfahren«, murmelte er, als er Trevelyan sein Glas zum Nachfüllen hinhielt.
Trevelyan blickte auf sein halbleeres Glas hinunter. »Ich habe nicht die Absicht, lange zu bleiben. Nur so lange, bis ich zu Kräften gekommen bin und ein paar Sachen niedergeschrieben habe. Dann seid ihr mich wieder los.«
Harry begann nun die volle Bedeutung der Tatsache zu ermessen, daß sein Bruder wider Erwarten doch nicht das Zeitliche gesegnet hatte. Er sah ihn im blaßroten Schein der Nachttischlampe an, und er hätte ebensogut einen Fremden betrachten können. Er war zwei Jahre alt gewesen, als Trevelyan aus dem Haus geschickt worden war, und in den Jahren danach hatte er ihn nur wenige Male gesehen. Trevelyan als schwarzes Schaf der Familie zu
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