Zwischen uns das Meer (German Edition)
vermasselt. Ich hab nicht gewonnen«, erwiderte sie, aber er sah den Schmerz in ihren Augen.
»Wichtig ist nur, dass du gelaufen bist. Du wirst in deinem Leben noch oft gewinnen oder verlieren. All das macht dich zu dem, wer du bist. Ich bin stolz auf dich.«
Sie wischte sich über die Augen und betrachtete ihn.
Er sah, was sie dachte. Seufzend fuhr er sich mit der Hand durchs Haar. Da er nicht weiterwusste, wandte er sich zum Fenster und blickte hinaus.
»Wir haben uns nur gestritten«, sagte er und konnte sie vor lauter Scham nicht ansehen. Log er? Nicht mal das wusste er. Vor zehn Minuten war ihm alles noch so klar gewesen – er empfand einfach keine Liebe mehr für seine Frau. Aber jetzt sah er, dass diese Erkenntnis nur ein Tropfen im Ozean ihres gemeinsamen Lebens war. »Du und Lulu streitet euch doch auch ständig. Und trotzdem habt ihr euch lieb, oder?«
»Aber du hast gesagt …«
»Vergiss es einfach, Betsy. Ich hab’s nicht so gemeint.«
»Es ist dir nur so herausgerutscht?«
Da endlich sah er sie an. »Nur so herausgerutscht«, wiederholte er und hörte selbst, wie merkwürdig das klang. »Tut mir leid, dass du unseren Streit mitgekriegt hast, und tut mir leid, dass ich deinen Wettkampf verpasst habe. Verzeihst du mir?«
Betsy starrte ihn so lange an, dass er schon dachte, sie würde nein sagen. Doch schließlich nickte sie langsam und ernst.
Er beugte sich zu ihr und zog sie in seine Arme. Als er spürte, wie sie wieder anfing zu schluchzen, hielt er sie einfach nur fest und ließ sie sich ausweinen. Schließlich beruhigte sie sich, da ließ er sie los, stand auf, blieb aber am Bett stehen.
Sie blickte zu ihm auf. »Aber du liebst Mom doch, oder?«
Er sagte ja – was die richtige Antwort war –, doch sah er an ihrem traurigen Blick, dass er zu lange gezögert hatte, dass sein Schweigen überzeugender gewesen war als das einzelne Wort.
Als er ihr Zimmer verließ, ging er direkt nach unten. Er wappnete sich, Jolene gegenüberzutreten, aber sie hatte nicht auf ihn gewartet, sondern das Zimmer aufgeräumt und das Licht gelöscht.
Das war typisch für sie: Selbst wenn ihr Leben auseinanderbrach, räumte sie noch auf.
Jolene schaffte es bis ins Schlafzimmer, ohne zusammenzubrechen, auch wenn sie nicht wusste, wie. Irgendwie schlug ihr Herz immer noch, und ihr Gehirn sandte die Basissignale an ihren Körper: atmen, Fuß heben, vorwärtsgehen.
Leise schloss sie die Tür hinter sich und fragte sich für den Bruchteil einer Sekunde, warum sie sie nicht zuknallte. Vielleicht hätte sie sich durch das Geräusch, durch ein Krachen , besser gefühlt.
Durchs Fenster sah sie nur die tiefschwarze Nacht und den Großen Wagen.
Sie wollte sich aufs Bett setzen, verfehlte es jedoch um Zentimeter und glitt zu Boden.
Dort saß sie mit angezogenen Beinen und starrte in die Dunkelheit.
Ich liebe dich nicht mehr.
Das tat so weh, dass sie fürchtete, ihr Herz würde aufhören zu schlagen.
Sie lehnte sich an das Bett, das sie mit ihrem Mann teilte.
Sie wollte nicht daran denken, auch nicht an ihn, aber sie konnte nicht anders.
Er hatte sie verändert, zu einem vollständigen Menschen gemacht. Zumindest hatte sie das gedacht.
In der Armee hatte sie sich selbst gefunden; in der Luft hatte sie ihre Leidenschaft entdeckt. Aber erst als sie Michael kennenlernte, war ein verlorengegangener Teil in ihr langsam und vorsichtig wieder zu ihr zurückgekehrt.
Tami hatte sie ermutigt, den jungen Anwalt zu suchen, der ihr geholfen hatte, und durch ihre Ausbildung hatte sie das nötige Selbstbewusstsein dazu bekommen. Er war ganz leicht bei Zarkades, Antham und Zarkades zu finden gewesen.
Da bist du ja wieder , hatte er gesagt, als er sie in der Eingangshalle stehen sah. Dies waren seine ersten Worte gewesen. Er hatte es lächelnd gesagt, so als wären sechs Jahre wie im Nu vergangen. Da wusste sie, dass er, auf seine Art, ebenfalls gewartet hatte. Da bin ich wieder , hatte sie geantwortet und war nicht mal überrascht, als er ihre Hand nahm. Das war mehr als nur ein Anfang gewesen; wie ins tiefe blaue Meer waren sie in ihre Liebe getaucht. Sie hatte nie an so etwas wie Liebe geglaubt, aber er hatte ihre ganze Welt auf den Kopf gestellt; so einfach war das. Bei ihrem ersten Kuss hatte sie ihre Kindheitserfahrungen mit Liebe vergessen und nur noch an ihn geglaubt. Und daran, dass es von Dauer war.
Irgendwann hatte sie vergessen, dass Liebe eine dunkle Kehrseite hatte. Zu viele Jahre in seinem Licht hatten sie blind
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