Zwischen uns das Meer (German Edition)
militärisch kurzes, schmutzig blondes Haar fiel über seine braune breite Stirn. Fältchen zeigten sich in den Winkeln seiner grauen Augen – vor ihrer Einberufung waren sie noch nicht zu sehen gewesen. Zweifellos dachte er jetzt an seinen kleinen Sohn. Würde seine Exfrau die Einberufung nutzen, um ihm den Jungen wegzunehmen? »Du bist dran, Jo«, sagte er.
Jolene nickte kurz und ging dann ins Klassenzimmer, wo ein Mann in Uniform an einem großen, mit Unterlagen bedeckten Schreibtisch saß.
»Chief Zarkades?«, fragte er und blickte zu ihr auf. »Rühren! Setzen Sie sich! Ich bin Captain Reynolds. Jeff.«
Sie nahm auf dem Stuhl ihm gegenüber Platz, straffte die Schultern und legte die Hände in den Schoß.
Er schob ihr einen Stapel Unterlagen zu. »Ihr Familienplan ist hier. Ihre Töchter Elizabeth Andrea Zarkades und Lucy Louida Zarkades werden von Ihrem Ehemann Michael Andreas Zarkades versorgt. Ist das korrekt?«
»Ja, Sir.«
»Wie ich sehe, wird Ihre Schwiegermutter Sie ebenfalls unterstützen.«
»Ja, Sir.«
Der Mann blickte auf die Unterlagen und klopfte mit seinem Stift auf den Tisch. »Die Einberufung kann Schwierigkeiten in einer Ehe auslösen, Chief. Gibt es irgendeinen Grund für Bedenken bei Ihrem vorliegenden Plan?«
»Nein, Sir«, antwortete Jolene.
Der Captain sah auf. »Haben Sie ein Testament gemacht?«
»Ja, Sir. Mein Mann ist Anwalt, Sir.«
»Gut.« Er schob einen Stapel Unterlagen zu ihr. »Datieren und unterschreiben Sie den Familienplan. Und das Zusatzformular für das Bestattungsarrangement. Ich nehme an, dass Michael im Falle Ihres Todes benachrichtigt werden soll. Sonst noch jemand?«
»Nein, Sir.«
»Also gut, Chief. Das wär’s. Sie sind entlassen.«
Jolene stand auf. »Danke, Sir.«
»Ach, Chief? Wir empfehlen, Briefe zu schreiben … an die, die Sie lieben.«
Jolene nickte. Briefe. Sie empfahlen ihr, Briefe zu schreiben, in denen sie sich von denen verabschiedete, die sie am meisten liebte. Sie versuchte, sich vorzustellen, wie … Betsy eines unbekannten Tages einen Brief öffnete, die Handschrift ihrer Mutter erkannte und ihre letzten Worte las – und wie würden ihre letzten Worte lauten, die sie jetzt schreiben sollte, bevor sie ihr Leben zusammen verbracht hatten, bevor Jolene wusste, was sie schreiben musste? Lulu würde heulen und weinen, würde schreien: Was? Wo ist sie denn jetzt? Ihr herzförmiges Gesichtchen würde sich verzerren, und Tränen würden ihr in die dunklen Augen steigen, während sie versuchte, das Unfassbare zu begreifen.
»Alles Gute, Chief. Und Gottes Segen.«
Die nächsten beiden Wochen vergingen so schnell, dass Jolene im Geiste ständig das Durchbrechen der Schallmauer zu hören meinte. Sie schrieb mindestens ein Dutzend Listen, strich sie wieder durch und schrieb sie neu. Sie füllte einen ganzen Collegeblock mit allen Informationen, die ihr einfielen. Sie bestellte Zeitschriften ab, die sie nicht mehr lesen konnte, verpflichtete den Sohn eines Nachbarn, im Sommer den Rasen zu mähen und im Winter den Generator zu überprüfen, und bezahlte so viele Rechnungen wie möglich im Voraus. All das machte sie abends; tagsüber war sie am Stützpunkt und bereitete sich auf den Kriegseinsatz vor. Sie und ihre Einheit flogen so viele Stunden zusammen, dass sie wie ein einziger Organismus funktionierten. Am ersten Mai brannte sie – und der Rest der Einheit – geradezu darauf, endlich aufzubrechen. Wenn es schon sein musste, wollten sie auch endlich loslegen. Nur so brachten sie es so schnell wie möglich hinter sich.
Das Leben zu Hause war eine einzige Folge von verlängerten Abschieden und bedeutsamen Momenten. Jeder Blick, jede Umarmung, jeder Kuss war mit Sorge und Angst belastet. Jolene wusste nicht, wie lange sie das noch aushalten konnte. Jedes Mal, wenn sie ihre Kinder ansah, schnürte sich ihre Kehle zusammen.
Und dann war da noch Michael.
In der kurzen Zeit, die ihnen blieb, hatte er sich noch mehr von ihr zurückgezogen und noch mehr Zeit im Büro verbracht. Sie erwischte ihn nur selten dabei, dass er sie ansah, und wenn, dann bemerkte sie Groll in seinen Augen, und er wandte rasch den Blick ab. Sie hatte versucht, mit ihm über alles zu reden, über die Einberufung, ihre Gefühle, seine Gefühle, ihre Angst, aber jeder Versuch war gescheitert. Also hatte sie schließlich erschöpft aufgegeben.
Offenbar hatte er die Wahrheit gesagt: Er liebte sie nicht mehr.
Manchmal, wenn sie spätnachts neben ihm im Bett lag und nicht
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