Zwischen uns das Meer (German Edition)
Meine Mommy kämpft für den Frieden lag aufgeschlagen vor ihr und daneben ein Haufen von Buntstiften. Sie war eifrig dabei, die amerikanische Flagge mit roten Streifen zu versehen.
»Wieso haben wir eigentlich keine Fahne vor dem Haus, Daddy?«, fragte Lulu. »Mommy ist doch weg.«
Michael hielt inne. Wieso hatte er bisher nicht daran gedacht? Alles, was er von Cornflower und Keller erfahren hatte, kam ihm in den Sinn.
Sie waren eine Soldatenfamilie.
Das hatte er ständig gehört; aber wenn die Leute das zu ihm sagten, hatte er nur mit den Schultern gezuckt und gedacht, nein, eigentlich nicht, schließlich ist meine Frau nur bei der Nationalgarde. Er hatte es nicht ernst genommen, weil er kein Soldat war, und ihren Dienst hatte er Gott weiß nie anerkannt oder gar unterstützt.
Trotzdem waren sie eine Soldatenfamilie, und seine Frau war im Krieg. Und eine Vierjährige hatte ihn auf etwas Wichtiges aufmerksam gemacht.
Er wuschelte Lulu durchs Haar und sah zu, wie sie ein Bild ausmalte, auf dem ein Mädchen einer Frau in Uniform zum Abschied winkte. »Wir werden eine hissen«, versprach er leise.
Betsy kam in die Küche gestampft. »So sehe ich spießig genug aus. Darf ich jetzt gehen?«
Er drehte sich um. Betsy hatte abgeschnittene Jeans an, die für seinen Geschmack etwas zu kurz waren, aber nicht kurz genug, um etwas dagegen zu sagen. Außerdem trug sie ein T-Shirt mit der Aufschrift Ups! Ich hab’s schon wieder getan und Flipflops. Sie hatte einen Großteil ihres Make-ups entfernt, trug aber immer noch blauen Mascara und Rouge.
Meinte sie vielleicht, das sähe er nicht?
»Und?«, fragte sie, doch dann brach ihr die Stimme. Als er merkte, wie viel ihr das alles bedeutete, war es um ihn geschehen. Er fand die Spielchen pubertierender Mädchen einfach lächerlich. Betsy konnte in einer Sekunde himmelhochjauchzend und in der nächsten schon zu Tode betrübt sein, und zwar nur wegen der Bemerkung einer früheren Freundin. Wehe, wenn einer über ihre Haare lachte! »Komm schon, Dad, es geht um Sierra. Ich hab sooo lange auf ihren Anruf gewartet. Ich muss jetzt los. Biiitte.«
Es mochte zwar feige sein, aber er konnte es ihr nicht abschlagen. Sie wirkte so verdammt einsam und verzweifelt, und er wusste, wie viel Betsy Sierras Kehrtwende bedeutete. »Du siehst gut aus, Betsy. Und du darfst zur Mall. Ich will nur kurz Sierras Mom anrufen.«
»Hab ich schon. Es war total peinlich, ihr zu sagen, dass mein Dad mir nicht erlaubt, mit Todd zu fahren.«
»Ein Horror«, bestätigte er.
»Jedenfalls holt uns Mrs Phillips in zehn Minuten ab. Gibst du mir also ein bisschen Geld?«
»Wie viel?«
»Fünfzig.«
» Dollar ?«
»Okay.« Sie seufzte dramatisch. »Dann fünfundzwanzig.«
Michael holte seine Brieftasche hervor. Während er das Geld abzählte, kreischte Betsy auf.
»Da sind sie! Gib mir das Geld, Dad. Los jetzt! Beeilung! Sonst fahren sie vielleicht wieder.«
»Ich bringe dich zum Wagen.«
»Auf gar keinen Fall!«
Er lächelte nur.
Sie zog eine Grimasse. »Na gut.«
Er ging mit ihr gemeinsam aus dem Haus und die Einfahrt hinunter bis zu dem wartenden blauen Minivan.
Tatsächlich saß eine Frau am Steuer.
»Hier bitte, Betsy«, sagte er und gab ihr dreißig Dollar. Sie schnappte sie sich wie ein Raubtier seine Beute und murmelte etwas zum Abschied.
Die Fahrerin kurbelte ihr Fenster herunter. »Hi«, sagte sie zu ihm. »Ich bin Stephanie. Ich hab gehört, Betsy meinte, Todd würde die beiden fahren.« Sie lächelte. »Dagegen hatte ich was.«
Michael erwiderte ihr Lächeln. »Schön zu hören. Ich weiß noch, wie ich mit achtzehn war. Es war nicht gerade meine Stärke, mich aufs Fahren zu konzentrieren.«
»Das sagt mein Mann auch.« Stephanie warf einen Blick zur Rückbank und beugte sich näher zu ihm. »Schön, dass die beiden wieder was zusammen unternehmen. Wie geht es Jolene?«
Das wurde er ständig gefragt. Und er wusste nie genau, was er antworten sollte. »Gut.«
»Grüßen Sie sie von mir.«
»Das werde ich.« Er trat einen Schritt zurück und sah zu, wie der Wagen in der Einfahrt wendete und davonfuhr.
Er ging zurück zum Haus. Auf der Veranda blieb er stehen und schaute sich um. Die Sonne schien auf die weißen Dielenböden und die ausgeblichenen Polster der Stühle. Das Gras vom Vorgarten war sattgrün – die Sommerhitze ließ noch auf sich warten. Unten, jenseits der Straße, sah er, dass eine Familie ein Lagerfeuer aufschichtete und Liegestühle für einen Tag am Strand
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