Zwischen uns das Meer (German Edition)
Schminkkoffer in Neonpink. »Das würde ihr gefallen.«
»Darf Sierra sich etwa schon schminken?«
Betsy bedachte ihn mit einem vielsagenden Blick. »Die anderen dürfen es alle .«
Er blickte sie an und sah die verschmierte Mascara unter ihren Augen und das Rouge, das so auffällig war wie eine Kriegsbemalung. »Schon verstanden. Nur du nicht. Schön. Kaufen wir’s. Los.«
»Aber es ist teuer.«
»Wir kaufen es.« Er hätte jede Summe bezahlt, nur um hier rauszukommen.
»Ich will auch was, Daddy«, quengelte Lulu und zog an seiner Hand.
»Ich brauche noch Geschenkpapier und eine Karte«, bemerkte Betsy.
Michael war sich ziemlich sicher, dass er laut aufgestöhnt hatte. Trotzdem folgte er ihr aus der Kosmetikabteilung in irgendeine andere, während Lulu in einem fort schrie: »Halt, Daddy, halt, ich will das und das und das!«
In der Geschenkabteilung blieb Betsy so abrupt stehen, dass Michael in sie hineinrannte. Lulu kreischte: »Maaaann, Betsy …«
»Ich muss aufs Klo«, erklärte Betsy.
»Komm schon, Betsy, kann das nicht …«
Sie drehte sich zu ihm um. »Auf der Stelle.«
Das sagte sie so wild entschlossen, dass er stutzte. Seufzend folgte er ihr zur Toilette, obwohl ihn Betsy entnervt anzischte, er sollte ihr nicht ständig nachgehen. Aber was blieb ihm anderes übrig? In letzter Zeit überkam ihn immer wieder die irrationale Angst, er könnte eins seiner Kinder verlieren. Er hatte Alpträume, in denen er zu Jo sagte: Ich weiß nicht, wie es passiert ist. Ich hab sie nur eine Sekunde aus den Augen gelassen.
Er setzte sich auf einen der unbequemen Stühle, um zu warten.
»Daddy, spiel Backe-backe-Kuchen mit mir«, bettelte Lulu und hob wie ein Pantomime die Hände.
»Was?«
Doch noch bevor Lulu anfangen konnte zu quengeln, kam Betsy bleich und entsetzt aus der Toilette geschossen. Sie bewegte sich unnatürlich steif, als könnte sie ihre Knie nicht mehr richtig beugen.
Besorgt stand er auf. »Betsy?«
Sie blickte sich um. Als er etwas lauter ihren Namen wiederholte, zuckte sie zusammen. »Schschsch.«
Er trat näher zu ihr. »Schatz? Was ist denn?«
Betsy blickte zu ihm auf. Sie hatte die Augen aufgerissen, und ihre Lippen zitterten. »Ich hab meine Periode bekommen.«
Sofort wurde Michael flau im Magen. »Oh.«
»Was ist eine Periode?«, fragte Lulu laut, woraufhin Betsy ihr den Mund zuhielt.
Sofort fing Lulu an zu kreischen.
»Sei still, Lulu«, zischte Michael. Und Betsy fragte er: »Was machen wir jetzt?«
»Ich brauche … was.«
»Ja, was. Richtig.« Was sie jetzt wirklich brauchte, war eine Frau, aber die war momentan nicht aufzutreiben. Also nahm er ihre Hand und führte sie durch den Laden. Sie bewegte sich steif und hielt sich ständig die Hände an den Po, als wollte sie etwas verbergen.
Hygieneartikel.
Ja, nicht zu übersehen. Er starrte auf die Reihen bunter Verpackungen und versuchte zu ergründen, was Betsy brauchte. Mit Flügeln! Klebestreifen! Ultra-saugfähig!
Betsy sah aus, als müsste sie sich jeden Augenblick übergeben. »Beeil dich, Dad. Nimm irgendwas.«
Komm schon, Michael. Dein Einsatz. Sie braucht dich jetzt. »Alles klar.« Er trat näher ans Regal und las die Angaben auf den Verpackungen.
»Dad«, flüsterte Betsy und wippte nervös auf den Fußballen. »Los jetzt.«
Da er keine Ahnung hatte, was die Produkte voneinander unterschied, nahm er das teuerste und gab es ihr.
Betsy keuchte auf. »Das kann ich doch nicht kaufen! Was ist, wenn irgendein Bekannter mich dabei sieht? Oh, mein Gott !«
»Schon verstanden. Dann treffen wir uns an der Toilette.«
Vor lauter Dankbarkeit wurde Betsy rot, dann rannte sie los. Michael klemmte sich die zappelnde und quengelnde Lulu unter den Arm. Den gesamten Weg zur Kasse sang sie aus voller Kehle. »Periodeperiodeperiode!« Er lächelte die Kassiererin verlegen an, dann eilte er mit einer kleinen Plastiktüte zur Damentoilette zurück.
Betsy wartete schon ungeduldig auf ihn.
»Hast du … äh … weißt du, wie man die benutzt?«, fragte er sie.
»Dazu muss man nicht studiert haben, Dad«, erwiderte sie.
Er merkte, dass sie sarkastisch sein wollte, aber ihre Stimme zitterte. Sie nahm die Tüte und rannte in die Toilette.
Nach über einer Viertelstunde kam Betsy langsam wieder heraus und starrte ihn an. Sie wirkte verängstigt und jung – absurd, da sie doch gerade ihren ersten Schritt zur Frau getan hatte. Langsam drehte sie sich um sich selbst. »Kann man was sehen?«
»Nein«, sagte Michael leise.
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