Zwischen Vernunft und purem Verlangen
mich schon mal bezeichnet.“ Caroline lächelte unfroh. „Verrückt, nutzlos und erbärmlich. Damals habe ich es selbst geglaubt. Aber das ist lange vorbei.“
Diskret hatte der Ober eine Gesprächspause abgewartet, bevor er an den Tisch kam, um die Bestellung fürs Mittagessen aufzunehmen.
Salat für Caroline, ein Sandwich für Evie. Das war schnell zubereitet. Je schneller ich dieses Gespräch hinter mir habe, desto besser, dachte Evie.
Als sie wieder allein waren, fragte sie: „Wenn Logans Vater so war, wie du angedeutet hast, warum hast du ihn dann geheiratet?“ Evie konnte kaum glauben, dass sie einer praktisch wildfremden Frau so eine Frage stellte.
„Weil ich ihn mal von ganzem Herzen geliebt habe“, erklärte Caroline. „Ich weiß, wie absurd das klingt. Aber es war so.“
Eine vernünftige Erklärung war das nicht gerade. Erneut war Evie den Tränen nahe.
„Hat Logan dir irgendwas über seinen Vater erzählt?“, fragte Caroline nach einer Weile.
„Sehr wenig.“ Evie räusperte sich. „Nur, dass du ihn verlassen hast. Und damit auch Logan. Und dass sein Vater sich umgebracht hat.“
„Hat er auch erwähnt, dass er bei seinem Vater bleiben musste, weil ich mit zwei gebrochenen Rippen, einem gebrochenen Jochbein und inneren Verletzungen ins Krankenhaus abtransportiert worden bin?“
Nein! Das hatte Logan für sich behalten. „Ins Krankenhaus“, wisperte Evie entsetzt.
„Ja.“
Das erklärte einiges.
„Als ich aus der Klinik entlassen wurde, bin ich erst mal für eine Woche bei meiner Schwester untergekommen. Ich habe Anzeige wegen häuslicher Gewalt erstattet und mich anwaltlich beraten lassen, um Logan so schnell wie möglich zu mir nehmen zu können, damit er seinem Vater nicht mehr ausgeliefert ist. Sein Vater war sehr reich und hätte sich die besten Anwälte nehmen können, um ihn herauszupauken. Ich musste mir also jeden Schritt sorgfältig überlegen. Selbstverständlich hätte ich meinen Sohn zu mir geholt, Evangeline. Das musst du mir glauben. Leider war ich nicht schnell genug.“
Evie schwieg verstört. Was hätte sie dazu auch sagen sollen?
„Weißt du, was der letzte Ausweg ist, wenn man nicht mehr die Beherrschung verlieren will, Evangeline?“, fragte Caroline Carmichael. „Der Tod. Wer übrigbleibt hat gewonnen, denkst du vielleicht. Aber so einfach ist es nicht immer. Die Überlebenden tragen bis zum Ende ihrer Tage das Mal des Todes. Hilflosigkeit, Schuldgefühle, Angst, es könnte einem wieder passieren. Die Furcht, wieder jemandem zu vertrauen.“
„Und doch hast du wieder geheiratet“, sagte Evie leise.
„Ich hatte die besten Psychologen, die man sich nur denken kann, und einen sehr verständnisvollen Ehemann. Leider ist er viel zu früh gestorben. An Krebs. Es ging ganz schnell und war sehr schmerzhaft, und es hat mir das Herz gebrochen. Aber es war nicht meine Schuld.“
Da war diese Schuld, von der Caroline Carmichael sprach. Die tiefen Wunden, die man ihr zugefügt hatte, prägten ihr ganzes Leben.
Meine Mutter ist kein schlechter Mensch, hatte Max gesagt.
„Caroline …“ Evie räusperte sich. Ihre Wut auf Logans Mutter war verflogen. Was blieb, war eine tiefe Traurigkeit. „Ich bin dir dankbar, mir von deiner und Logans Vergangenheit erzählt zu haben. Aber bitte mach dir keine Hoffnungen, dass Logan und ich zusammenbleiben oder dass ich sein Verhältnis zu dir positiv beeinflussen kann. Ich befürchte, Logan und ich werden wieder getrennte Wege gehen, wenn die Woche vorbei ist. Zwar hoffe ich, dass er einige Dämonen besiegt hat, im Zusammenhang mit seiner Dominanz und meiner Unterwerfung damals bei unserer ersten Begegnung. Aber ich werde ihn gehen lassen.“
„Ist er dir denn gleichgültig?“
„Nein, ganz und gar nicht, Caroline. Es fiele mir leicht, deinen Sohn zu lieben. Aber ich darf das nicht zulassen. Logan will sich nämlich nicht in mich verlieben. Er möchte eine unkomplizierte Affäre, die er problemlos beenden kann, ohne sich oder mir Schaden zuzufügen. Dann kann er sich nämlich sicher sein, nicht so besessen und labil zu sein wie sein Vater es war. Seinem Herzen traut er nicht, aber seinen Handlungen. Er wird mich verlassen. Das weißt du genauso wie ich.“
„Aber ich glaube nicht, dass er dich verlässt, Evie“, sagte Caroline leise.
„Doch, das wird er tun.“ Evie atmete tief durch. „Und zwar bald.“
„Er kommt zurück.“
„Vielleicht. Doch dann geht er wieder. Immer wieder. Was willst du denn hören,
Weitere Kostenlose Bücher