Zyklus der Erdenkinder 01 - Ayla und der Clan des Bären
andere Frau lauter und schüttelte Ayla grob. Ayla schlug die Augen auf, versuchte mit wirren Gesten eine
Antwort zu geben, schloß die Augen wieder und rollte sich fest zusammen.
"Ayla! Ayla!" rief Ebra wieder.
Noch einmal öffnete die junge Frau die Augen.
"Geh in die Höhle und schlaf dich aus, Ayla. Hier kannst du
nicht bleiben. Die Männer werden wach", befahl Ebra mit bestimmter Gebärde.
Die junge Frau torkelte zur Höhle. Gleich darauf kam sie zurück, hellwach jetzt, aber mit kreidebleichem Gesicht.
"Was ist?" fragte Uba mit erschreckter Gebärde. "Du siehst aus, als wäre dir ein Geist begegnet."
"Uba! Ach Uba! Die Schale." Ayla warf sich zu Boden und schlug die Hände vors Gesicht.
"Die Schale? Was für eine Schale, Ayla? Ich verstehe nicht."
"Sie ist zersprungen", bedeutete Ayla mit verzweifelter Geste.
"Zersprungen?" fragte Ebra. "Wie kommt es, dass eine zersprungene Schale dich so traurig macht? Du kannst eine neue fertigen."
"Nein. Keine wie diese. Es ist Izas Schale. Die Schale, die sie von ihrer Mutter bekommen hat."
"Mutter Schale? Mutters heilige Schale?" fragte Uba mit entsetzten Gebärden.
Das trockene, spröde Holz hatte nach so langer Zeit ständigen Gebrauchs alle Spannkraft verloren. Ein feiner Riß, der unter der weißen Schicht in ihrem Inneren verborgen geblieben war, hatte sich gebildet. Und als Ayla in der Nacht die Schale auf den Steinboden der Höhle hatte fallen lassen, war sie in zwei Teile zersprungen.
Ayla gewahrte nicht, dass Creb aufblickte, als sie aus der Höhle rannte. Als er sah, dass die heilige Schale zersprungen war, schien ihm das wie ein unheilvolles Zeichen des Verhängnisses. Es paßt, dachte er. Nie wieder wird die Zauberkraft dieser Wurzeln Anwendung finden. Nie wieder werde ich die Kraft dieser Wurzeln bei einer Feier gebrauchen, und ich werde Goov nicht lehren, wie sie früher angewendet wurde. Die Clans werden sie vergessen. Schwer stützte sich der alte Krüppel auf seinen Stab und zog sich hoch, geplagt von grimmigen Schmerzen in den Gliedern. Lange genug habe ich in kalten Höhlen gesessen. Es ist an der Zeit, dass Goov mich ablöst. Vielleicht wird er bald bereit sein müssen. Wer weiß, wie lange ich noch lebe?
Brun spürte, dass sich der alte Zauberer tief gewandelt hatte. Er glaubte, des Mog-urs Niedergeschlagenheit rühre von der Aufregung der vergangenen Nacht, zumal dies ja sein letztes Miething sein würde. Dennoch war Brun beklommen zumute, wenn er den langen Marsch zurück zur heimischen Höhle vor sich sah. Wie würde Creb ihn überstehen? Er war gewiß, dass der alte Mann sie zwingen würde, langsamer zu gehen. Brun beschloss, seine Männer noch auf eine letzte Jagd zu führen, um dann das frische Fleisch gegen haltbarere Nahrung aus den Vorräten von Norgs Clan einzutauschen; sie würde ihnen auf dem langen Weg zur Höhle reichen.
Nach der erfolgreichen Jagd hatte es Brun eilig aufzubrechen. Einige Clans waren bereits abgezogen. Nun, da die Festlichkeiten vorüber waren, kehrten seine Gedanken zur heimischen Höhle und den Erdlingen zurück, die dort warteten. Doch der Clan-Führer war guter Dinge. Niemals war seine Stellung stärker erschüttert gewesen; das machte den Sieg um so kostbarer. Er war zufrieden mit sich, zufrieden mit seinem Clan, zufrieden mit Ayla. Sie war eine gute Medizinfrau, und er hatte es gespürt. Wenn das Leben eines Menschen in Gefahr war, dann sah sie nichts anderes mehr, genau wie Iza. Brun wusste, dass der Mog-ur seine ganze Macht eingesetzt hatte, die anderen Zauberer zu überzeugen; Ayla selbst jedoch hatte es bewiesen, als sie das Leben des jungen Jägers gerettet hatte.
Der Mog-ur machte niemals eine Andeutung über Aylas heimlichen Besuch in der Grotte weit in der Tiefe des Berges. Nur einmal ließ es sich nicht vermeiden: Ayla packte. Am folgenden Morgen wollten sie aurbrechen. Creb humpelte herein. Er war ihr aus dem Weg gegangen, und das schmerzte die junge Frau, die sehr an ihm hing. Er hielt an, als er sie sah, und wollte sich zum Gehen wenden. Doch sie hinderte ihn daran, lief zu ihm hin und hockte sich ihm zu Füßen. Er blickte auf ihren gesenkten Kopf, stieß einen Seufzer aus und klopfte ihr auf die Schulter. Ayla hob den Kopf und war entsetzt, als sie sah, wie sehr Creb in den letzten Tagen verfallen war. Die Narbe und der Hautlappen, der seine leere Augenhöhle bedeckte, waren runzlig geworden und das Gesicht unter den schweren Brauenwülsten fast eingefallen. Der graue Bart hing ihm schlaff herunter,
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