Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
sagt, sie glaubt nicht, daß die Verbrennung etwas hinterläßt, aber mit Gewißheit kann das nicht einmal der Shamud sagen.«
Der besorgte Ausdruck auf Jondalars Gesicht war während der nächsten paar Schritte nicht anders als der auf Markenos Gesicht. Sie kamen um eine Wegbiegung herum und stießen auf Carlono, der einen Baum begutachtete und breit lächelte, als er sie sah. Wenn er lächelte, wurde noch deutlicher, wie sehr er Markeno ähnlich sah. Er war zwar nicht so groß wie der Sohn seines Herdfeuers, aber der schmale, sehnige Körperbau war bei beiden gleich. Er bedachte den Baum noch einmal mit einem prüfenden Blick und schüttelte den Kopf.
»Nein, der ist nicht geeignet.«
»Nicht geeignet?« fragte Jondalar.
»Um Spanten daraus zu machen«, sagte Carlono. »Ich sehe das Boot nicht in diesem Baum. Keiner der Äste würde der gebogenen Innenlinie folgen, nicht einmal, wenn man sie zurechtstutzte.«
»Woher weißt du das? Boot nicht fertig«, sagte Jondalar.
»Er weiß es einfach«, mischte Markeno sich ein. »Carlono findet immer Äste, die genau passen. Du kannst hierbleiben und dich mit ihm über Bäume unterhalten, wenn du willst. Ich gehe weiter hinunter auf die Lichtung.«
Jondalar sah ihm nach und fragte dann Carlono: »Wie erkennst du im Baum, was zum Boot paßt?«
»Dafür muß man einfach ein Gefühl entwickeln – und dazu braucht es Übung. Diesmal gilt es nicht, nach großen, gerade gewachsenen Stämmen Ausschau zu halten. Was wir jetzt brauchen, sind Bäume mit gekrümmten Ästen. Dann überlegst du, wie sie auf dem Boden aufliegen und als Spanten und Seiten hinaufgehen. Man sucht nach solchen, die allein wachsen und Raum genug haben, sich auszubreiten, wie sie wollen. Wie die Menschen wachsen manche am besten in Gesellschaft und versuchen, die anderen zu übertreffen. Andere dagegen brauchen das Alleinsein, um zu wachsen, wie sie wollen, auch wenn das vielleicht einsam ist. Beide haben etwas für sich.«
Carlono bog in einen nicht so häufig begangenen Seitenpfad ab. Jondalar folgte ihm. »Manchmal finden wir zwei, die zusammen wachsen«, fuhr der Anführer der Ramudoi fort, »und im Wachsen nur einer auf den anderen Rücksicht nimmt. So wie die da.« Er zeigte auf zwei Bäume, die umeinander herumgewachsen waren. »Die nennen wir Liebespaare. Es kommt vor, daß man einen fällt, und der andere dann eingeht.« Jondalar runzelte die Stirn.
Sie gelangten auf die Lichtung, und Carlono führte den großen Mann zu einem besonnten Hang, auf dem eine riesige, dickstämmige, verkrümmte und knorrige alte Eiche wuchs. Beim Näherkommen dachte Jondalar, eine seltsame Frucht an dem Baum zu erkennen. Doch dann erkannte er, daß er mit einem ungewöhnlichen Durcheinander von Dingen geschmückt war. Da hingen zierliche kleine Körbe mit Mustern aus gefärbten Federkielen daran, kleine, mit Perlen aus Weichtierschalen bestickte Lederbeutel sowie in verschiedenen Mustern geschlungene und geflochtene Schnüre. Eine Halskette war schon vor so langer Zeit um den Stamm geschlungen worden, daß sie teilweise in die Rinde eingewachsen war. Als Jondalar genauer hinschaute, erkannte er, daß sie aus Muschelschalenperlen gemacht worden war, die sorgsam in der Mitte durchbohrt und abwechselnd mit den Rückenwirbeln von Fischen aufgefädelt worden waren, die ja eine natürliche Öffnung aufwiesen. Er bemerkte winzige geschnitzte Boote, die von Zweigen herunterhingen, Reißzähne von Raubkatzen, die an Lederriemen herunterhingen, Vogelfedern und Eichhörnchenschwänze. Nie zuvor hatte er Ähnliches gesehen.
Carlono kicherte, als er sah, wie Jondalar die Augen vor Staunen aufriß.
»Das ist der Segens-Baum. Ich nehme an, Jetamio hat ihre Gabe aufgehängt. Das tun Frauen im allgemeinen, wenn sie sich wünschen, daß Mudo sie mit einem Kind segnet. Zwar meinen die Frauen, es sei ihr Baum, aber es gibt auch Männer, die ihre Gaben hier aufhängen. Sie bitten damit um Glück bei der ersten Jagd, gutes Gelingen beim Bau eines neuen Bootes und um Segen beim Zusammenbleiben mit einer neuen Gefährtin. Aber man bittet nicht oft um etwas, nur bei besonderen Anlässen.«
»Wie groß Baum ist!«
»Ja. Es ist der Baum der Mutter. Doch das ist nicht der Grund, warum ich dich hierhergebracht habe. Siehst du, wie gebogen und verkrümmt die Äste sind? Dieser Baum wäre zu groß, selbst wenn es sich nicht um den Segens-Baum handelte; aber wenn es um Spanten geht, sucht man sich Bäume wie diesen. Dann sieht man sich die Äste genau
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