Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
doch
Jondalar hatte sich auch bei Tageslicht außerstande gesehen,
ihnen irgendwelche bestimmten Eigenschaften zu entnehmen –
außer, daß ihr Besitzer alt war. Aber selbst das Alter war ein
Geheimnis.
Das verrunte Gesicht strahlte eine Kraft aus, die ihm etwas
Jugendliches verlieh, obwohl die lange Mähne, die es umrahmte,
schlohweiß war. Obgleich die Gestalt unter der lockeren
Kleidung hager und schwächlich schien – der Schritt des
Shamud hatte etwas Federndes. Die Hände sprachen
unmißverständlich von hohem Alter, doch so arthritisch
verzogen sie auch waren, und so pergamenten die Haut mit den
blauen Venen darin auch wirkte – diese Hand zitterte nicht im
geringsten, als sie den Becher zum Munde führte.
Durch diese Bewegung wurde der Augenkontakt
unterbrochen. Jondalar fragte sich, ob der Shamud das nicht
bewußt getan hatte, um die wachsende Spannung zwischen
ihnen nicht allzu groß werden zu lassen. Er nahm einen
Schluck. »Der Shamud guter Heilkundiger«, sagte er.
»Das ist eine Gabe der Mudo.«
Jondalar strengte die Ohren an, um irgendetwas aus dem
Klang und dem Tonfall herauszuhören, der den androgynen
Heilkundigen eindeutig als Mann oder als Frau erscheinen ließ,
und sei es nur, um die an ihm nagende Neugier zu befriedigen.
Bis jetzt war er noch nicht dahintergekommen, was der Shamud eigentlich war, doch hatte er den Eindruck, daß der Heiler trotz seines unbestimmbaren Geschlechts kein enthaltsames Leben geführt hatte. Seine sarkastischen Seitenhiebe waren allzuoft von wissenden Blicken begleitet gewesen. Er wollte fragen, wußte
jedoch nicht, wie er seine Frage taktvoll formulieren sollte. »Shamud Leben nicht leicht, müssen viel aufgeben«, versuchte
Jondalar es. »Hat Heiler jemals Gefährtin gewünscht?« Für einen Moment weiteten sich die unergründlichen Augen;
dann brach der Shamud in ein sardonisches Gelächter aus.
Jondalar schoß die Schamröte ins Gesicht.
»Wen, meinst du, hätte ich nehmen sollen, Jondalar? Nun ja,
wenn du in meinen jüngeren Jahren dahergekommen wärest,
möglich, daß du mich in Versuchung hättest bringen können.
Aber wärest du auch meinem Zauber erlegen? Hätte ich eine
Perlenschnur an den Segensbaum gehängt, würde das
ausgereicht haben, dich zu bewegen, mein Lager zu teilen?«
sagte der Shamud und neigte dabei ein wenig geziert den Kopf.
Einen Moment war Jondalar überzeugt, daß es eine junge Frau
sei, die da sprach.
»Oder hätte es da von meiner Seite aus größere Umsicht
bedurft? Deine Neigungen sind kräftig entwickelt; hätte ich
deine Neugier auf eine neue Lust wecken können?«
Erneut schoß Jondalar die Röte ins Gesicht. Er mußte sich
geirrt haben; trotzdem fühlte er sich seltsam hingezogen zu
diesem Anblick von Sinnlichkeit und Geilheit und katzenhaftgeschmeidiger Anmut, die der Shamud einfach dadurch
hervorzurufen verstand, daß er sich ein wenig anders hinsetzte
und streckte. Selbstverständlich war der Heiler ein Mann, doch
in seiner Sinneslust ausgestattet mit den Neigungen einer Frau.
Viele Heilkundige zogen Kraft sowohl aus dem männlichen wie
dem weiblichen Prinzip, was diese Kraft nur verstärkte. Wieder
vernahm er das sardonische Lachen.
»Ist das Leben eines Heilkundigen schon schwierig – um
wieviel schwieriger erst das Leben dessen, der das seine teilt? Für
einen Mann sollte seine Gefährtin immer an erster Stelle stehen.
So wäre es zum Beispiel kaum zumutbar, mitten in der Nacht
jemand wie Serenio zu verlassen, um sich eines Kranken
anzunehmen; außerdem gilt es, lange Zeiten der Enthaltsamkeit
zu durchstehen …«
Der Shamud lehnte sich vor und redete von Mann zu Mann
mit ihm, in den Augen den Schimmer, den ein Mann hat, wenn
er an eine Frau denkt, die so schön war wie Serenio. Verwirrt
schüttelte Jondalar den Kopf. Und unversehens, mit einem
Schulterzucken, hatte seine Männlichkeit plötzlich einen ganz
anderen Charakter bekommen. Einen, der ihn ausschloß. »… und ich bin mir nicht sicher, ob ich sie mit einem Haufen
gieriger Männer allein lassen möchte.«
Der Shamud war eine Frau, allerdings keine, die sich jemals zu
ihm oder zu der er sich hingezogen fühlen würde – jedenfalls
nicht mehr als zu einer Freundin oder einem Freund. Es
stimmte, die Macht des Heilkundigen entstammt dem Prinzip
beider Geschlechter, war jedoch die einer Frau mit den
Neigungen eines Mannes.
Wieder lachte der Shamud, und dem Lachen war nicht
anzumerken, ob es von einem Mann oder einer Frau stammte.
Mit dem Blick dessen, der von Gleich
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