Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
weißschäumende Fluten.
Sie gehörten zu dem Element dazu, in dem sie reisten, wurden hinuntergetrieben wie die Abfälle, die auf seiner Oberfläche dahinschwammen und in seinen schweigenden Tiefen zu Boden sickerten. Sie konnten weder Geschwindigkeit noch Richtung bestimmen und steuerten nur um Hindernisse herum, die sich ihnen entgegenstellten. Wo der Fluß sich verbreiterte und man kaum von einem Ufer zum anderen sehen konnte, hoben Wellen das kleine Boot und ließen es absinken, als führen sie über ein richtiges Meer. Verengten die Ufer sich, spürten sie die Veränderung der Energie: Die Strömung war stärker, wenn dieselben Wassermassen sich durch die enge Öffnung in den Felsen hindurchwälzten.
Sie hatten etwas mehr als ein Viertel des Wegs – etwa vierzig Kilometer – zurückgelegt, da kam der drohende Regen in einem furchtbaren Guß heruntergerauscht und peitschte das Wasser zu Wellen hoch, daß sie fürchteten, das kleine hölzerne Boot würde vollschlagen und versinken. Aber es war nirgends ein Uferstreifen zu erkennen, nur steiler nasser Fels.
»Ich kann steuern, wenn du das Wasser ausschöpfst, Thonolan«, sagte Jondalar. Sie hatten nicht viel miteinander gesprochen, doch hatte einiges von der zwischen ihnen herrschenden Spannung sich verflüchtigt, als sie einträchtig gepaddelt hatten, um das Boot auf dem richtigen Kurs zu halten.
Thonolan steckte sein Paddel weg und versuchte mit einem quadratischen, kellenähnlichen Schöpfgefäß das Wasser hinauszubefördern. »Es füllt sich genauso rasch wieder, wie ich es leerschöpfe«, rief er über die Schulter hinweg seinem Bruder zu.
»Ich glaube nicht, daß dieser Guß lange anhält. Wenn du durchhältst, glaube ich, schaffen wir es«, erwiderte Jondalar und bemühte sich, das Boot durch das aufgewühlte Wasser zu lenken.
Das Unwetter ging vorüber, und obgleich die Wolken immer noch bedrohlich aussahen, setzten sie ihren Weg durch die Flußenge die ganze Strecke über ohne weiteren Zwischenfall fort.
Gleich der Entspannung, die folgt, wenn man einen zu fest zugezogenen Gürtel lockert, breitete der angeschwollene schlammige Fluß sich aus, als sie die Ebene erreichten. Flußarme wanden sich um weiden- und schilfbestandene Inseln herum: Nistplätze für Kraniche und Flußreiher, Gänse, Enten und zahllose andere Zugvögel.
Für die erste Nacht schlugen sie ihr Lager auf der grasbestandenen Steppe auf dem linken Flußufer auf. Das Vorgebirge zog sich ein beträchtliches Stück vom Fluß zurück, wohingegen die gerundeten Berge auf dem rechten Ufer dafür sorgten, daß der Große Mutter Fluß weiterhin nach Osten lief.
Jondalar und Thonolan verfielen so rasch wieder ihrer Reiseroutine, daß es aussah, als hätten sie nicht jahrelang bei den Sharamudoi gelebt. Trotzdem hatte sich etwas verändert. Verschwunden war die unbekümmerte Abenteuerlust, die nur aus der reinen Freude des Entdeckens an allem Freude hatte, was hinter der nächsten Flußbiegung lag. Thonolans Besessenheit weiterzukommen, hatte schon etwas Verzweifeltes.
Jondalar hatte noch einmal versucht, seinen Bruder zur Umkehr zu bewegen und ihn zu überreden, nach Hause zurückzukehren, doch hatte das nur zu einem bitteren Streit gerührt. Er hatte das Thema nie wieder angeschnitten. Zumeist sprachen sie nur, um notwendige Informationen auszutauschen. Jondalar konnte nur hoffen, daß die Zeit Thonolans Kummer beschwichtigen würde und er sich eines Tages dazu durchringen könnte, nach Hause zurückzukehren und sein Leben dort wiederaufzunehmen. Bis dahin war er entschlossen, bei ihm zu bleiben.
In dem kleinen Boot kamen die beiden Brüder viel schneller voran, als wenn sie am Ufer zu Fuß gegangen wären. Es war eine Freude, sich von der Strömung treiben zu lassen. Wie Carlono vorausgesagt hatte, wandte der Fluß sich nach Norden, als er auf die Barriere eines alten Rumpfgebirges stieß, das weit älter war als die nackten Berge, um welche der große Strom herumfloß. Wiewohl von altehrwürdigem Alter abgeschliffen, stellten sie sich zwischen den Fluß und das Binnenmeer, das dieser zu erreichen trachtete.
Unbeirrt suchte die Große Mutter sich einen anderen Weg. Daß sie nach Norden abbog, brachte allerdings erst in dem Augenblick den gewünschten Erfolg, da sie endgültig nach Osten floß und ein letzter großer Nebenfluß seine Massen an Wasser und Sickerstoffen beisteuerte. Da nun ihr Weg endlich frei vor ihr lag, konnte sie sich nicht mehr an ein einziges Flußbett halten.
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