Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
und gingen dann. Ayla sah, wie auf seinem Gesicht das Lächeln von einem schmerzlichen Ausdruck abgelöst wurde und er plötzlich erbleichte.
»Ich brauche doch ein bißchen Hilfe«, sagte er.
Sein Lächeln war angestrengt, aber doch aufrichtig.
»Ayla hilft«, sagte sie und bot ihm ihre Schulter und ihre Hand zur Unterstützung an. Zuerst wollte er nicht zuviel Gewicht auf sie verlagern, doch als er sah, daß sie dies tragen konnte, die Kraft hatte und wußte, wie sie ihn hochziehen sollte, nahm er ihre Hilfe an.
Als er schließlich auf seinem gesunden Bein stand, an einen Pfosten der Darre gelehnt, und Ayla zu ihm aufblickte, mußte sie tief Luft holen. Sie ging ihm kaum bis zum Kinn. Sie wußte, daß sein Körper länger war als der der Männer des Clans, aber sie hatte diese Länge nicht in aufragende Größe umgesetzt und sich nicht vorgestellt, wie er sich wohl ausnahm, wenn er stand. Sie hatte nie einen so großen Menschen gesehen.
Sie konnte sich nicht erinnern, seit ihrer Kindheit zu irgend jemand aufgesehen zu haben. Selbst noch vor ihrer Reife war sie größer gewesen als alle Clansangehörigen, die Männer eingeschlossen. Sie war immer groß und häßlich gewesen: zu groß, zu hellhäutig, zu flachgesichtig. Kein Mann hatte sie haben wollen, nicht einmal dann, nachdem ihr mächtiges Totem überwältigt worden war und sie alle sich gern eingebildet hätten, daß es ihr Totem gewesen sei, welches ihren Höhlenlöwen besiegt und sie schwanger gemacht hatte; nicht einmal, als sie wußten, daß, wenn sie vor der Geburt des Kindes keinen Gefährten hatte, das Kind vom Unglück verfolgt sein würde. Und Durc war wahrhaftig vom Unglück verfolgt gewesen. Sie hatten ihn nicht am Leben lassen wollen. Sie hatten gesagt, er sei mißgestaltet; doch dann hatte Brun ihn trotzdem anerkannt. Damit hatte ihr Sohn sein Unglück überwunden. Er würde auch über das Unglück hinwegkommen, seine Mutter zu verlieren. Und er würde groß werden – das war ihr auch vor ihrem Fortgehen klar gewesen –, aber nicht so groß wie Jondalar. Diesem Mann gegenüber kam sie sich wirklich klein vor. Ihr erster Eindruck von ihm war gewesen, daß er jung war, und jung war für sie gleichbedeutend mit klein. Auch hatte er jünger ausgesehen, als er wohl in Wirklichkeit war. Jetzt blickte sie zu ihm auf und bemerkte, daß sein Bart gewachsen war. Sie wußte zwar nicht, wieso er zuvor keinen gehabt hatte, doch da sie jetzt sah, daß ihm struppiges Blondhaar auf dem Kinn sproß, wußte sie, daß er kein Junge mehr war. Er war ein Mann – ein großer, kräftiger, reifer Mann.
Ihre Verwunderung und Verblüffung ließ ihn lächeln, obwohl er nicht wußte, was sie so überraschte. Auch sie war größer, als er angenommen hatte. Die Art, wie sie sich bewegte und hielt, ließ eigentlich vermuten, daß es sich um einen wesentlich kleineren Menschen handelte. Dabei war sie sogar recht groß, und er mochte große Frauen. Sie waren es, die für gewöhnlich sein Wohlgefallen erregten – obwohl diese bestimmt eines jeden Mannes Wohlgefallen erregt, dachte er. »Wenn wir es so weit geschafft haben, dann laß uns jetzt hinausgehen«, sagte er.
Ayla war sich seiner Nähe und seiner Nacktheit bewußt. »Don-da-lah brauchen … Kleid«, sagte sie und benutzte sein Wort für ihren Überwurf, obwohl sie etwas für einen Mann meinte. »Brauchen … Bedeckung …«
Sie zeigte auf sein Gemächt; auch die Bezeichnung dafür hatte er ihr nicht gesagt. Dann errötete sie aus irgendeinem unerklärlichen Grund.
Das war kein Anstandsgefühl. Sie hatte viele Männer und auch viele Frauen unbekleidet gesehen – darum ging es nicht. Sie meinte, er brauchte Schutz, nicht vor den Elementen, sondern vor den bösen Geistern. Obwohl Frauen von ihren Ritualen ausgeschlossen waren, wußte sie, daß die Männer des Clans ihre Geschlechtsteile nicht gern unbedeckt ließen, wenn sie hinausgingen. Warum der Gedanke daran sie so verwirrte, wußte sie ebensowenig, warum ihr Gesicht plötzlich so heiß wurde oder wieso sich unversehens dieses ziehende und pulsierende Gefühl bei ihr einstellte.
Jondalar sah an sich hinunter. Auch er war abergläubisch hinsichtlich seines Geschlechts, doch es zu bedecken, um es vor bösen Geistern zu beschützen, war ihm nie in den Sinn gekommen. Wenn bösartige Feinde einen Zelandoni bewogen hatten, Schlimmes auf ihn herabzubeschwören oder eine Frau ihn aus einem gerechten Grund verflucht hatte, gehörte weit mehr als ein Kleidungsstück dazu, ihn
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