Zyklus der Erdenkinder 03 - Ayla und die Mammutjäger
Wonnen sein sollte, da ein Mann sie öffnete, auf daß sie die von Der Mutter zusammengegebenen und einander durchdringenden Geister empfangen konnte. Erst wenn sie zur Mutterschaft fähig war, wurde sie in jeder Hinsicht als Frau betrachtet, stand danach also zur Gründung eines Herdfeuers und für das Zusammengegebenwerden mit einem Mann zur Verfügung, um eine neue Einheit zu bilden. Bis dahin lebte sie in dem Zwischenstadium des Nicht-mehr-Kind-und-noch-nicht-FrauSeins; in dieser Zeit lernte sie von älteren Frauen sowie Denen, Die Der Mutter Dienten, alles über Frauentum, Mutterschaft und Männer.
Bis auf Mamut waren sämtliche Männer aus dem Herdfeuer des Mammut hinausgejagt worden. Dort hatten sich jetzt die Frauen versammelt, um dem Mädchen Latie, das jetzt zur Frau werden sollte und auf die Zeremonie am nächsten Abend vorbereitet wurde, eine Stütze zu sein und ihr mit Rat und Vorschlägen zur Seite zu stehen. Wiewohl sie selbst eine der älteren Frauen war, lernte Ayla dabei fast genausoviel wie die junge Mädchen-Frau.
»Morgen abend brauchst du nicht viel zu tun, Latie«, erklärte Mamut gerade. »Später wirst du mehr lernen müssen, doch morgen geht es um nichts weiter als um die Bekanntgabe. Das übernimmt Talut, dann überreiche ich dir die Muta. Bewahre die an einem sicheren Ort auf, bis du soweit bist, dein eigenes Herdfeuer zu gründen.«
Latie, die vor dem alten Mann saß, nickte; sie war zwar verschüchtert, genoß aber die Aufmerksamkeit, die ihr zuteil wurde.
»Du verstehst, nicht wahr? Von morgen an darfst du nie mit einem Mann allein sein oder auch nur mit einem Mann allein sprechen, bis du nicht voll und ganz eine Frau bist«, sagte Mamut.
»Nicht einmal mit Danug oder Druwez?« fragte Latie.
»Nein, nicht einmal mit denen«, sagte er. Der alte Schamane erklärte, daß sie in dieser Übergangszeit, da sie weder den Schutz der Kindheits-Schutzgeister genoß, noch die volle Kraft des Frauentums, den bösen Einflüssen besonders ausgesetzt sei. Sie müsse sich ständig unter den wachsamen Augen einer Frau bewegen und dürfe auch mit ihrem Bruder oder ihrem Vetter nicht allein sein.
»Und was ist mit Brinan? Oder Rydag?« fragte Latie. »Die sind noch Kinder«, sagte Mamut. »Von Kindern kommt nie Gefahr. Die haben Schutzgeister, die die ganze Zeit über ihnen schweben. Deshalb bedarfst du jetzt ja gerade besonderen Schutzes. Deine Kindheits-Schutzgeister ziehen sich von dir zurück und machen Platz, auf daß die Lebenskraft, die Kraft Der Mutter, in dich eingehen kann.«
»Aber Talut oder Wymez würden mir nichts tun. Warum darf ich denn mit denen nicht allein reden?«
»Männliche Geister fühlen sich zur Lebenskraft hingezogen, genauso – und das wirst du noch feststellen – wie Männer sich von nun an zu dir hingezogen fühlen werden. Manche männlichen Geister sind eifersüchtig auf die Kraft der Mutter. Sie könnten versuchen, sie dir in dieser Zeit zu rauben, wo du so verwundbar bist. Ohne geeignete Vorsichtsmaßnahmen könnte ein männlicher Geist in dich eindringen, und selbst wenn er dir deine Lebenskraft nicht raubt, kann er ihr doch Schaden zufügen oder sie überwältigen. Dann würdest du nie Kinder bekommen können, oder deine Begierden werden die eines Mannes, und du wirst den Wunsch haben, die Wonnen mit Frauen zu teilen.«
Latie riß die Augen auf. Daß es so gefährlich war, hatte sie nicht gewußt.
»Ich werde Obacht geben, werde nicht zulassen, daß mir ein männlicher Geist zu nahe kommt … aber … Mamut …« »Was ist denn, Latie?«
»Was ist mit dir, Mamut? Du bist doch auch ein Mann.«
Etliche Frauen kicherten, und Latie wurde feuerrot. Vielleicht war das eine dumme Frage gewesen.
»Dieselbe Frage hätte auch ich gestellt«, meinte Ayla. Latie sah sie dankbar an.
»Ja, es ist eine gute Frage«, sagte Mamut. »Ich bin zwar ein Mann, aber ich bin auch einer, Der Ihr Dient. Wahrscheinlich wäre es ungefährlich, mit mir zu sprechen, gleichgültig wann, und selbstverständlich, bei bestimmten Ritualen, da ich als Einer Der Dient fungiere, wirst du mit mir sprechen müssen, auch wenn niemand sonst dabei ist, Latie. Trotzdem meine ich, es wäre gut, wenn du einfach nicht herkämest, um mich zu besuchen oder mit mir zu reden, es sei denn, eine andere Frau wäre bei dir.«
Latie nickte, krauste die Stirn und fühlte nachgerade, wie verantwortlich sie vorgehen mußte, um in eine neue Beziehung mit Menschen zu treten, die sie ihr ganzes Leben gekannt und geliebt
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