Zyklus der Erdenkinder 03 - Ayla und die Mammutjäger
einen Faden Milch aus dem Mundwinkel. Plötzlich sah sie Ayla neugierig an. »Was hast du benutzt, als du … jünger warst?«
»Weiche Lederbinden. Das geht gut, besonders wenn man auf Reisen ist. Aber manchmal habe ich sie zusammengelegt oder sie mit Mufflonwolle ausgepolstert, oder mit Pelz, selbst mit Vogeldaunen. Und manchmal war es weicher Flaum von Pflanzen, ganz fest zusammengedrückt. Mit Mammutdung habe ich es nie zuvor probiert, aber es geht auch.«
Mamut besaß die Fähigkeit, wenn er wollte, seine Anwesenheit zurückzunehmen und in den Hintergrund zu treten, so daß die Frauen ihn ganz vergessen und freimütig reden konnten, wie sie es nie getan hätten, wäre ein anderer Mann in der Nähe gewesen. Ayla freilich war sich seiner bewußt und beobachtete still, wie er sie beobachtete. Schließlich, als die Unterhaltung erlahmte, wandte er sich wieder an Latie.
»Irgendwann bald wirst du einen Ort für deinen persönlichen Umgang mit Mut suchen. Dann gib acht auf deine Träume. Sie werden dir helfen, den richtigen Ort zu finden. Ehe du deinen ganz persönlichen Ort der Andacht aufsuchst, wirst du fasten und dich reinigen müssen, die vier Himmelsrichtungen anerkennen und die Unterwelt und den Himmel, und Ihr Opfer darbringen, zumal wenn du Ihrer Hilfe bedarfst oder eines Segens von Ihr. Das ist besonders wichtig dann, wenn die Zeit kommt, da du gern ein Kind haben möchtest, Latie, oder wenn du erfährst, daß du eines bekommst. Dann mußt du deinen persönlichen Ort der Andacht aufsuchen und Ihr zu Ehren dort eine Opfergabe verbrennen, eine Gabe, die in Form von Rauch zu Ihr aufsteigt.«
»Wie erfahre ich denn, was ich Ihr geben soll?« fragte Latie.
»Es könnte etwas sein, das du zufällig findest, oder etwas von dir Gemachtes. Du wirst es wissen, wenn du das Gefühl hast, es ist recht. Du wirst es immer wissen.«
»Wünschst du dir einen bestimmten Mann, kannst du auch Sie darum bitten«, sagte Deegie mit einem verschwörerischen Lächeln. »Ich kann dir nicht sagen, wie oft ich um Branag gebeten habe.«
Ayla warf einen Blick auf Deegie und beschloß, später mehr über persönliche Orte der Andacht herauszufinden.
»Es gibt so viel zu lernen!« sagte Latie.
»Deine Mutter kann dir helfen, und Tulie auch«, sagte Mamut.
»Nezzie hat mich gebeten, und ich habe mich einverstanden erklärt, dieses Jahr eine von den Aufsichtsfrauen zu sein, Latie«, sagte Tulie.
»Ach, Tulie, wie mich das freut«, sagte Latie. »Dann bin ich jedenfalls nicht so allein.«
»Nun«, sagte die Anführerin und lächelte darüber, wie sehr das Mädchen sich über sie freute, »es kommt schließlich nicht alle Jahre vor, daß das Löwen-Lager eine neue Frau hat.«
Stirnrunzelnd konzentrierte Latie sich und fragte dann mit leiser Stimme: »Tulie, wie ist es denn darin? In dem Zelt, meine ich. In der bewußten Nacht.«
Tulie sah Nezzie lächelnd an. »Hast du ein bißchen Angst davor?«
»Ja, ein bißchen.«
»Keine Sorge. Man wird es dir schon erklären; es wird nichts Unerwartetes geschehen.«
»Ist es so was Ähnliches wie das, was Druwez und ich als Kinder gespielt haben? Er ist so heftig auf mir rumgehüpft … ich glaube, er hat versucht, Talut zu sein.«
»Nein, nicht wirklich, Latie. Das waren Kinderspiele, ihr habt doch bloß gespielt und versucht, wie die Erwachsenen zu sein. Ihr wart da beide jung, viel zu jung.«
»Das stimmt. Wir waren sehr jung«, sagte Latie und kam sich jetzt sehr viel älter vor. »Das sind Kinderspiele. So was zu spielen, haben wir schon vor langer Zeit aufgehört. Ja, wir spielen überhaupt nicht mehr zusammen. In letzter Zeit haben weder Danug noch Druwez sich noch viel mit mir unterhalten wollen.«
»Das kommt wieder«, sagte Tulie. »Da bin ich ganz sicher, aber vergiß nicht: Du sollst nicht viel mit ihnen reden – und nie allein mit ihnen zusammensein!«
Ayla griff nach dem großen Wassersack, der an einem Lederriemen von einem Pflock im Stützpfeiler herunterhing. Der Sack war aus dem Magen eines Riesenhirschs gefertigt und war so behandelt worden, daß er seine natürlichen, wasserundurchlässigen Eigenschaften behalten hatte. Gefüllt wurde er durch die untere Öffnung, die hochgenommen und umgeklappt wurde und so schloß. Ein kurzes Stück von einem Vorderlaufknochen mit der natürlichen Höhlung in der Mitte war an dem einen Ende ausgekerbt worden. Um eine Tülle zu binden, war das Leder der Öffnung des Hirschmagens mit dem Röhrenknochenabschnitt verbunden worden, indem man es an
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