004 - Der Dämon mit den Totenaugen
geschwollene,
blutunterlaufene Gesicht starrte, das sich seinen Blicken bot.
Der Tote unter der Maske war – Captain Jenkins!
Sie hatten ihren Mann geholt und an seiner Stelle den toten Captain auf die
Bahre gelegt!
Larry Brent musste immer noch an die gespenstische, unwirkliche Szene
denken, als er schon längst unterwegs war und mit langen, ausholenden Schritten
durch den Abend ging. Er bewegte sich auf der abgelegenen, holprigen Straße,
die an der Friedhofmauer entlangführte und schließlich an einer Straße
abzweigte, die direkt in die Stadt führte.
Larry benutzte den Weg, der ihn an den äußersten Randhäusern Brooklyns
vorbeiführte. Er wollte allein sein mit sich und seinen Gedanken und hatte es
abgelehnt, mit Lieutenant Carlton zurück zum Polizeihauptquartier zu fahren. Er
brauchte Luft, um zu atmen; er spürte die Kälte, die durch seine Kleidung
kroch, und sie tat ihm gut, sie kühlte seinen erhitzten Körper.
Larry war der einzige Spaziergänger, der an diesem Abend den einsamen Pfad
ging, der hinunter zum Wasser führte, zu den Dreck- und Abfallbergen außerhalb
der Stadt.
Er hatte vor, bis zum East River zu laufen und in Höhe der Brooklyn Bridge
ein Taxi zu nehmen. Von dort aus wollte er dann noch einmal zurück zum
PSA-Hauptquartier, um seinen Bericht anzufertigen, und dann auf jeden Fall noch
einmal das Stadion auf Randalls Island aufsuchen.
Es musste Spuren von Koslowski geben. Und es war noch nicht zu spät, nach
ihnen zu suchen. Nur von dort aus konnte er noch einmal den Faden aufnehmen,
der ihn eventuell auf die Spur der Organisation führte, mit der er abermals
zusammengestoßen war, ohne zu einem nennenswerten Erfolg zu kommen. Drei
Menschen hatten dabei den Tod gefunden. Captain Jenkins war unter ihnen. Larry
Brent kam mit seinen Gedanken nicht von der letzten makabren Stunde im
Leichenschauhaus los ...
Er schrak zusammen, als er die ferne, eindringliche Stimme vernahm. Er
befand sich so weit außerhalb, dass er in die Nähe des Friedenstempels geraten
war, in dem Kambor Shari seine zündenden, überzeugenden Reden hielt. Er sah die
flackernden Fackeln, die am Zelteingang brannten, erkannte die schummrigen
Umrisse der Menschen, einige hundert an der Zahl, die in Gruppen vor dem Zelt
standen oder innen auf den harten Holzbänken saßen. Beifall tönte auf, lautes
Klatschen erfüllte die Luft, und aufmunternde Zurufe klangen vereinzelt durch
den Abend.
Kambor Sharis klare, feste Stimme forderte die Anwesenden auf, ein
gemeinsames Lied zu singen. Und sie sangen! Sie lasen den Text von den
einfachen Schmierzetteln, die im Schablonendruck verfertigt waren, nach den
Klängen einer einsamen, etwas schwermütig geblasenen Posaune.
Ein Raunen ging durch das Zelt. Larry näherte sich der Menschenansammlung.
Der Inder erhob schwere Vorwürfe gegen die Regierungen der Welt; er machte sie
verantwortlich für den Hunger, für die Not, für das Leid, die in Vietnam, in
Biafra und in Indien herrschten.
Larry Brent sah erstaunlich viele junge Gesichter unter den Zuhörern und
Zuschauern. Viele trugen umgehängte Plakate oder Schilder mit Aufschriften, mit
denen sie ebenfalls demonstrierten.
»Was wollen wir denn, was wollen Sie – und Sie – und Sie.« Kambor Shari,
eine stattliche Figur, mit dunklen, glutvollen Augen, schritt durch die
dichtgedrängt stehenden und sitzenden Zuschauer, bei dem einen oder anderen
blieb er stehen, sah ihn an, legte seine Hand auf die Schulter. »Wir wollen
Frieden, jeder einzelne von uns sehnt sich danach. Was soll das Sterben in
Vietnam und Biafra? Täglich beklagen Hunderte von Müttern den Tod ihrer Söhne,
täglich Tränen und Leid ... Und was tun wir? Was können wir überhaupt dagegen
tun? Was hat sich schon geändert, seit zweitausend Jahren?« fragte er mit
klarer, fester Stimme seine Zuhörer. »Die Geschichte zeigt auf, dass es in
jedem Jahrhundert irgendwo auf dieser Welt Krieg gegeben hat, es wurde gemordet
und geplündert.«
Wie ein Fanal leuchtete Kambor Shari zwischen den stummen, einfachen
Gestalten, die ihn mit glänzenden Augen musterten. Der weiße Anzug mit den
schimmernden Goldknöpfen ließ Shari merklich hervorstechen. Er wusste, was
publikumswirksam war. Er schimpfte auf alle und jeden, nannte sogar seine
Zuhörer eine faule Brut, da sie so wenig dazu täten, die Dinge zu ändern.
»Gleichgültigkeit ist unser größter Gegner«, schrie er in das Zelt, und seine
Stimme hallte durch die Nacht. »Unsere Gleichgültigkeit fängt schon
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