0087 - Schrei, wenn dich die Schatten fressen!
weiter schlimm. Ein Streifschuß. Die Kugel hatte eine Furche in das Fleisch gezogen.
Der Chinese wickelte sein sauberes Taschentuch um die Wunde. Die Blutung wurde etwas gestoppt.
Dann hörte er Geschrei aus dem Flur. Als er sich umdrehte, stürmten vier Polizisten in den Raum. Zwei hielten Revolver in den Händen. Eine barsche Stimme befahl: »Hoch mit dir, Freund!«
Suko stand auf und hob sicherheitshalber die Hände. Dann hatte er Glück, denn einer der Beamten kannte ihn. Suko befand sich mittlerweile lange genug in London und hatte mich auf manch harten Einsätzen begleitet, in denen uns auch uniformierte Kollegen zur Seite gestanden hatten.
Die Beamten waren beruhigt, nachdem der Mann eine Erklärung abgegeben hatte.
Sie wollten jedoch wissen, was geschehen war.
Da lachte Suko bitter auf und erwiderte: »Sorry, das kann ich Ihnen auch nicht sagen. Am besten wird es sein, Sie fragen diese Frau dort.« Der Chinese deutete auf die immer noch am Boden hockende Mary Selnick.
Zuerst einmal schauten die Beamten nach ihrer Verletzung. Sie nickten zufrieden, denn es war nichts Ernstliches. »Wir werden Sie im Revier verarzten«, sagte der Sergeant.
Suko schüttelte den Kopf. »Nein, beim Yard.«
»Wieso, soll die Frau zum Yard geschafft werden?«
»Genau.« Der Chinese war schon unterwegs zum Telefon. Er kannte nicht nur meine Nummer, sondern auch die von Sir Powell. Obwohl der Superintendent nicht gerade Sukos Busenfreund war Powell gefiel es nicht, daß der Chinese die meisten Fälle mitlöste, hörte er doch gespannt zu, was Suko zu sagen hatte.
»Okay, kommen Sie mit der Frau her!«
»Danke, Sir.« Suko legte auf.
Die Polizisten hatten inzwischen die Handtasche der Frau durchsucht und auch Mary Selnicks Papiere gefunden. Einer hielt den Ausweis in der Hand. Laut las er vor.
»Mary Selnick.« Er schaute Suko an. »Sagt Ihnen der Name vielleicht etwas?«
»Nein.« Suko bückte sich und faßte die Frau unter. So konnte er ihr hochhelfen. »Wir werden jetzt gemeinsam zum Yard fahren«, sagte er. »Ich bin gespannt, was Sie uns noch alles zu erzählen haben!«
Mary blieb stehen. Sie stemmte sich gegen den Griff und zischte. »Gar nichts werde ich sagen, du mieser Chink. Denn die Schatten werden auch dich fressen, das schwöre ich…«
***
Der Regen wirkte wie eine graue Wand, in der es hin und wieder hell aufglitzerte. Deshalb hoben sich die Schatten so deutlich mit ihrer Schwärze von der Regenwand ab.
Es waren furchteinflößende Gebilde, hochgewachsen, doppelt so groß wie ein Mensch, mit bizarrem, hin- und herzitternden Konturen. Sie erinnerten nur entfernt an Menschen, ansonsten wirkten sie mehr wie Fledermäuse.
Ich versuchte zu zählen.
Drei, nein, vier Schatten standen vor mir. Zwei an den Seiten, also links und rechts und hinter mir?
Ich drehte blitzschnell den Kopf und schaute über das Autodach hinweg. Neben der anderen Seite des Bentleys wuchs ebenfalls ein Schatten in die Höhe. Dahinter verlief die Straße, wie eingewaschen in der grauen Regensuppe, die von den Scheinwerfern der vorbeifahrenden Wagen kaum erhellt wurde.
Obwohl ich fast eine Karambolage verursacht hätte, kümmerte sich keiner der anderen Fahrer um den Vorfall. Sie hatten ihren Weg kurzerhand fortgesetzt. Und niemand ahnte wohl, welch ein Drama sich am Rande des Motorways anbahnte.
Ich hatte keine Ahnung, wer die Schatten geschickt hatte, sondern nur einen Verdacht.
Drei große Gegner hatte ich.
Der Schwarze Tod, Myxin, der Magier und der Spuk. Zählte man allerdings Asmodina, die Tochter des Teufels, hinzu, die jedoch noch nicht völlig erstarkt war, dann waren es vier.
Und einer davon herrschte im Reich der Schatten.
Es war der Spuk!
Er war der Dämon, in dessen Reich die Seelen der getöteten Dämonen ihre ewige Pein fanden und normalerweise nicht zurückkamen, um als Schatten dahinzuvegetieren.
Aber jetzt waren die Schatten da.
Hatte es einen Riß in den Dimensionenschichten gegeben?
Ich wußte es nicht, aber ich würde es erfahren. Da war ich mir sicher. Noch warteten die Gebilde, noch griffen sie nicht an, so daß ich Zeit fand, mein Kreuz über den Kopf zu ziehen. Locker behielt ich es in der Hand.
Der Regen strömte aus den tiefhängenden Wolken. Mein Mantel lag im Wagen, und der Anzug schützte mich auch nicht mehr. Er war nur noch ein feuchter Lappen. Naß bis auf die Knochen stand ich vor meinem Bentley.
Hinter mir glaubte ich eine Bewegung zu spüren. Und dann sah ich den Schatten wie er um die
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