01 - Gott schütze dieses Haus
Himmel Herrgott, so, wie du dich für seine Erziehung interessierst, könnte man meinen, ich hätte ihn ganz allein produziert.«
Es war eine Frau, die da in den Tönen höchster Erbitterung kreischte und schrie, als wolle sie jeden Moment zum tätlichen Angriff übergehen.
Die Stimme des Mannes, der ihr antwortete, war undeutlich und ging in dem Getöse fast unter.
»Ach ja, dann wird es besser? Was du nicht sagst! Da kann ich nur lachen, Dick. Wenn du erst den ganzen beschissenen Hof als Entschuldigung hast? So wie gestern abend! Du konntest ja gar nicht schnell genug hinkommen! Erzähl mir also nichts von dem Hof. Wenn du erst mal fünfhundert Morgen hast, hinter denen du dich verstecken kannst, kriegen wir dich bestimmt überhaupt nicht mehr zu sehen.«
Lynley klopfte energisch mit dem halb verrosteten Türklopfer an die offene Tür, und die Szene vor ihnen erstarrte zum lebenden Bild.
Einen Teller mit einer wenig appetitlich aussehenden Mahlzeit auf den Knien, saß ein Mann auf einem durchgesessenen Sofa in einem mit Möbeln vollgestopften Wohnzimmer. Vor ihm stand eine Frau, einen Arm drohend erhoben, eine Haarbürste in der Hand. Beide starrten den unerwarteten Besuch verblüfft an.
»Sie haben uns in unserem besten Moment erwischt. Als nächstes wären wir im Bett gelandet«, sagte Richard Gibson.
Die Gibsons waren ein sehr gegensätzliches Paar. Er war ein Hüne, fast zwei Meter groß, massig, mit pechschwarzem Haar und spöttischen braunen Augen. Seine Frau war eine zierliche Blondine mit scharfen Zügen, im Augenblick weiß vor Wut bis in die Lippen. Doch zwischen den beiden knisterte eine Spannung, die die Worte des Mannes durchaus glaubhaft machte. Dies war eine Beziehung, wo jeder Streit, jede Auseinandersetzung nur ein Scharmützel vor dem Kampf um die Oberherrschaft war, der zwischen den Laken ausgetragen wurde. Und wer da Sieger bleiben würde, war, soweit das Lynley und Barbara nach dem Erlebten beurteilen konnten, völlig ungewiß.
Madeline Gibson warf ihrem Mann einen letzten schwelenden Blick zu, in dem soviel Begehren wie Wut glühte, lief hinaus und knallte die Küchentür hinter sich zu. Gibson lachte leise.
»Meine kleine Höllenmaschine«, bemerkte er und stand auf. Freimütig bot er Lynley die große Hand. »Richard Gibson. Sie sind wohl von Scotland Yard?«
Lynley stellte Barbara und sich vor.
»Sonntags geht's hier immer am schlimmsten zu«, erklärte Gibson und wies mit einer Kopfbewegung zur Küche, aus der Quengeln und Schimpfen zu ihnen drang. »Früher hat Roberta uns geholfen. Jetzt müssen wir ohne sie auskommen. Aber das wissen Sie ja. Deshalb sind Sie hier.«
Er wies einladend auf zwei altertümliche Sessel, denen die Innereien aus den gerissenen Nähten quollen. Lynley und Barbara stiegen über Spielsachen, zerfledderte Zeitungen und mindestens drei schmutzige Teller hinweg, die auf dem nackten Holzboden standen. Irgendwo hatte man ein Glas Milch vergessen; der saure Geruch überlagerte selbst die Küchendünste.
»Sie haben den Hof geerbt, Mister Gibson«, begann Lynley. »Haben Sie die Absicht, bald umzuziehen?«
»Mir kann's nicht bald genug sein. Ich hab' ernste Zweifel, ob meine Ehe einen weiteren Monat in dieser Bruchbude überstehen kann.«
Gibson schob mit dem Fuß seinen Teller von der Couch weg. Von irgendwo tauchte eine magere Katze auf, beschnupperte das trockene Brot und die durchdringend riechenden Sardinen und wies das Angebot zurück.
»Sie wohnen schon seit einigen Jahren hier, nicht wahr?«
»Seit genau zwei Jahren, vier Monaten und zwei Tagen. Ich könnt's Ihnen auch noch auf die Stunden berechnen, aber das ist wohl nicht nötig. Sie verstehen, was ich damit sagen will.«
»Ich habe eben ungewollt gehört, daß Ihre Frau von der Aussicht, auf den Hof zu ziehen, nicht gerade begeistert ist.«
Gibson lachte. »Sie sind sehr höflich, Inspektor. Solche Polizisten gefallen mir.«
Er fuhr sich mit der Hand durch das volle Haar und sah sich suchend auf dem Boden zu seinen Füßen um, bis er die Bierflasche entdeckte, die im Eifer des Gefechts, das er mit seiner Frau geführt hatte, auf die andere Seite der Couch gerutscht war. Er setzte sie an den Mund und leerte sie mit einem langen Zug. Dann wischte er sich die Lippen mit dem Handrücken, die Geste eines Mannes, der es gewöhnt ist, seine Mahlzeiten auf dem Feld einzunehmen.
»Nein. Madeline möchte wieder nach East Anglia zurück. Sie will die Weite, das Wasser und den tiefen Himmel. Aber
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