01 - So nah am Paradies
Gewalttätigkeiten gegeben hatte, so war davon nichts mehr zu spüren.
Sie hatte es verbannt, weil sie ihr Leben und das ihrer Kinder nicht davon zerstören lassen würde.
Indem sie ihm die Tatsachen offenbart hatte, hatte sie ihn auch verantwortlich gemacht. Sie hatte sein Mitgefühl geweckt und damit sein
Verantwortungsgefühl.
„Alana, ich kann nicht schreiben, was du mir heute Nachmittag erzählt hast."
Tiefe Erleichterung erfasste sie. Sie hatte gehofft und vertraut, aber sie hatte nicht sicher sein können. „Danke."
„Sei nicht dankbar. Ich werde vieles schreiben, das dir nicht gefallen wird."
„Ich glaube, es macht mir allmählich nicht mehr so viel aus. Weißt du, ich habe immer gedacht, die Kinder würden ein Bild brauchen, zu dem sie aufblicken, um zu sagen: ,Das ist mein Vater.' Doch je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr bin ich davon überzeugt, dass es wichtiger für sie ist, auf sich selbst stolz sein zu können."
„Warum hast du es mir erzählt?"
Alana sah ihn an. Sie hatte in diesem Mann Freundlichkeit gefunden, wo sie keine erwartet hatte. Er hatte ihr bei ihrer Arbeit geholfen, obwohl er nichts damit zu tun hatte. Er verhielt sich ihren Kindern gegenüber herzlich und großzügig. Er hatte für sie gesorgt, als sie krank war. Sie hatte den weichen Kern unter seiner rauen Schale entdeckt und hatte sich darin verliebt. Leise seufzend ergriff Alana ihren Stift und ließ ihn gedankenverloren von einer Hand in die andere gleiten.
„Ja, warum? Als ich erst einmal angefangen hatte zu erzählen, kam alles wie von selbst.
Wahrscheinlich musste ich es nach all diesen Jahren einfach einmal laut aussprechen."
„Du hast es deiner Familie nicht erzählt?"
„Nein. Man erlebt nacheinander ganz
unterschiedliche Empfin-
düngen - Scham, Selbstvorwurf, Zorn. Ich musste sie zuerst verarbeiten."
„Warum bist du denn bloß bei ihm geblieben?" Er dachte wieder an Geld, an die Frau in Nerz und Diamanten. Doch er wollte nicht mehr glauben, dass das der Grund gewesen war.
Sie blickte auf ihre Hände nieder. „Nachdem es geschehen war, war Chuck verzweifelt. Ich dachte, wir könnten diese schreckliche Nacht irgendwie vergessen. Und eine Zeit lang gelang es uns auch fast. Dann wurde Chris geboren. Chuck konnte ihn nicht ansehen, ohne sich zu erinnern. Er lehnte das Baby ab, weil es ihn immer daran erinnerte, auf welche Weise es empfangen wurde, weil Chris ihn seine eigene Schwäche nicht vergessen ließ."
„Und du? Was empfindest du, wenn du Chris ansiehst?"
Das Lächeln kam langsam. „Er war ein so schönes Baby. Er ist immer noch schön."
„Du bist eine bemerkenswerte Frau, Alana."
Überrascht sah sie ihn an. „Nein. Ich bin eine gute Mutter, aber das ist nichts Bemerkenswertes. Ich war keine gute Ehefrau. Chuck brauchte jemanden, der für den Augenblick lebte, jemanden, der mit ihm durchs Leben raste. Ich war dafür zu langsam."
„Was hast du gebraucht?"
Nun sah sie ihn verblüfft an. „Ich weiß nicht, was ich damals gebraucht habe, aber ich bin jetzt mit dem zufrieden, was ich habe."
„Reicht das? Die Kinder, das Haus?" Er trat zu ihr.
„Ich dachte, du wolltest mir die Wahrheit sagen?"
„Dorian." Er sollte nicht so nah sein. Sie konnte nicht denken, wenn er so nah bei ihr stand. „Ich weiß nicht, welche Antwort du auf die Frage erwartet hast."
„Nein?" Er nahm ihre Hand und zog Alana von ihrem Stuhl hoch. Er spürte, wie ihre Finger zitterten, und verstärkte seinen Griff. „Ich will nicht, dass du Angst vor mir hast."
„Das habe ich nicht."
„Ich will nicht, dass du Angst vor dem hast, was zwischen uns ist."
„Ich kann nichts dafür. Dorian, tu es nicht." Sie legte ihre freie Hand auf seinen Arm. „Ich will einfach nicht in ein Gefühlschaos schlittern. Ich hoffe, wir sind Freunde."
„Über den Punkt sind wir doch schon hinaus." Er zog zärtlich ihre Hand an seine Lippen. „Hat dich jemals jemand richtig geliebt?"
Panik stieg in Alana auf. „Ich - ich habe zwei Kinder."
„Das ist keine Antwort." Er drehte ihre Hand um und presste seine Lippen auf ihre Handfläche. Ihre Finger waren verspannt. „Gab es jemanden außer Chuck?"
„Nein, ich ..."
Er musterte sie scharf. „Niemand?"
Sofort war die Scham, das Eingeständnis ihres Versagens da. „Nein. Eine körperliche Beziehung bedeutet mir einfach nicht viel."
Wie wirkungsvoll Rockwell sie gedemütigt hat, dachte Dorian. Wut stieg in ihm auf, und er unterdrückte diesen Impuls. Sich auf kein
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