010 - Skandal in Waverly Hall
Stunden dauern, bevor Dominick auftauchte und auf der Erfüllung dieses Teils des absurden Vertrags bestand.
„Sie sind völlig durchnäßt, Mylady", schalt Belle.
Anne hatte gar nicht mehr an den Regen gedacht. Sie merkte erst jetzt, wie kalt ihr war. Fröstelnd stand sie auf. „Du hast recht. Ich sollte mich lieber umziehen, bevor ich hier krank werde."
Plötzlich donnerte es laut über ihren Köpfen. Kurz darauf wurde es taghell im Raum, und ein Blitz schlug unmittelbar außerhalb der Burg ein.
Anne und Belle rührten sich nicht, bis das Zimmer wieder im Dämmerlicht lag.
„Es ist nur ein Gewitter", erklärte Anne und versuchte, das unbehagliche Gefühl abzustreifen.
Belle legte die Hand auf ihre Brust. „Gibt es das oft in diesem gottverlassenen Land?"
Anne merkte, wie verwirrt die Zofe war, obwohl ihre Frage unbekümmert geklungen hatte. „Ich weiß es nicht. Ehrlich gesagt, ich bin noch nie so weit im Norden gewesen."
„Mir gefällt dieser Ort nicht", sagte Belle finster. „Ob es hier Gespenster gibt?"
Anne mußte unwillkürlich lachen. „O Belle, es gibt keine Gespenster."
„In einer alten Burg wie dieser spukt es bestimmt", antwortete Belle hartnäckig.
Anne lächelte nachsichtig. „Ich versichere dir, hier tut es das nicht."
Belle schien nicht überzeugt zu sein. Wieder zuckte ein Blitz über den Himmel. Anne und ihre Zofe erstarrten erneut, während der Donner ganz in ihrer Nähe rollte.
„Ich hole Ihnen ein paar trockene Sachen", sagte Belle endlich und hockte sich vor den Koffer. Sie wühlte darin herum und zog ein dunkelblaues langes Kleid hervor.
„Wie wäre es damit, Mylady?" fragte sie mit glänzenden Augen.
Anne runzelte die Stirn. Die marineblaue Seide paßte zwar zur Trauerzeit. Aber das Kleid hatte einen tiefen Ausschnitt und war für den Abend gedacht. Trotz seiner dunklen Farbe war es sehr hübsch. Sie hatte es noch nie getragen, denn sie hatte bisher keine Gelegenheit dazu gehabt.
„Weshalb hast du es eingepackt?" fragte Anne die Zofe. Sie hatte nicht die Absicht, sich so elegant für das Abendessen zu kleiden, das sie gleich mit Dominick einnehmen würde.
„Ich bin sicher, daß Seine Lordschaft Sie gern etwas weniger streng sehen würde - wenn Sie mir die Bemerkung gestatten", sagte Belle verschmitzt.
„Ich gestatte nicht", antwortete Anne scharf und errötete heftig. „Ist nichts Praktischeres im Koffer?" Sie trat näher, um sich selber zu überzeugen. „Etwas mit Ärmeln und einem Ausschnitt, der meinen Busen nicht halbnackt läßt?" Sie konnte sich Dominicks Reaktion bei diesem Kleid lebhaft vorstellen und wurde immer nervöser.
Belle durchsuchte den Koffer erneut und seufzte hörbar. Ihre Herrin sei so hübsch und wolle es unbedingt verbergen, schimpfte sie vor sich hin. Anne wollte sie gerade tadeln, da hielt Belle plötzlich inne und rührte sich nicht.
„Was hast du, Belle?"
Die Zofe zog einen zerrissenen Lederriemen aus dem Koffer. „Wo kommt der denn her, Mylady?"
Fassungslos betrachtete Anne den Riemen.
„Ich habe ihn bestimmt nicht eingepackt", rief Belle. „Wie ist er in den Koffer geraten?"
Der Regen wurde immer stärker und trommelte gegen die Steinmauern der Burg.
Anne konnte Beiles Frage nicht beantworten. Ihr Herz setzte einen Schlag aus.
Am anderen Ende des gerissenen Lederriemens hing ein eiserner Steigbügel.
Dominick lief in der großen Halle auf und ab und haderte innerlich mit sich. Er war furchtbar wütend und enttäuscht. Anne war immer noch entschlossen, mit ihm zu kämpfen.
Nach ihrem Reitunfall hatte er angenommen, daß sich ihr Verhältnis bessern würde.
Er hatte den Eindruck gehabt, daß ein echtes Band zwischen ihnen entstanden war.
Als er den Vorschlag machte, Anne solle für eine Woche mit ihm verreisen, hatte er keine Sekunde an seinen lüsternen Plan vom Vortag gedacht. Und sie hatte sich ebenfalls nicht erinnert. Zumindest hatte er das zunächst angenommen. Aber das war offensichtlich ein Irrtum gewesen.
Dominicks Blick glitt zu der schmalen steilen Treppe, die zum ersten Stock des Bergfrieds führte. Anne tauchte immer noch nicht auf. Sie war schon vor einer Stunde nach oben gegangen. Das war ihre Art, ihm ihren Widerwillen klarzumachen.
Nervös strich er mit den Finger durch sein dichtes sonnengebleichtes Haar. Er hatte letzte Nacht kein Auge zubekommen, denn Anne war ihm nicht auf dem Kopf gegangen. Sein Körper hatte ziemlich eindeutig darauf reagiert.
Er hatte Anne begehrt, und zwar gewaltig. Er
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