0158 - Wenn die Wolkenkratzer wackeln
Straßenschild an der Hauswand. Der Junge lief dicht an den Türen der Häuser vorbei und hielt vor der Nummer 17 an. Er mußte lange nach einem Klingelknopf suchen. Wenig später ging drinnen Licht an, es schien durch eine milchige Scheibe über der Tür; und dann wurde die Tür aufgemacht. Ein mehr als schlampig gekleidetes Mädchen blickte neugierig auf den späten Besucher. Es strich sich das strähnige Haar aus der Stirn und musterte ihn ungeniert.
»Hallo«, sagte er zögernd. »Ist Johnny noch da? Du bist seine Schwester, nicht wahr?«
Sie ließ nicht ab von ihm mit ihren Blicken. Endlich sagte sie zögernd:
»Nee. Er is längst weg.«
»Wohin? Zu Healeys Saal doch nicht?«
Das Mädchen sdiüttelte den Kopf und zog sich einen Träger unter der grellfarbenen Bluse zurecht.
»Nee. Was is denn?«
Der Junge zauderte für einen Moment.
»Ich muß ihn unbedingt sehen. Die Polente ist hinter ihm her und läßt ihn suchen. Ich muß ihm Bescheid sagen.« Das Mädchen zog die Nase hoch. »Woher weiß du denn das?« fragte sie verächtlich.
»Sie waren vorhin schon bei mir und haben nach ihm gefragt. Wo ist er?«
Sie zögerte lange. Dann sagte sie leise:
»Wenn du mich nicht verrätst… Hank Burger hat ihn abgeholt, und sie wollten zu der großen Zeltmission im Hafen unten.«
Der Junge blickte sie für einen Augenblick überrascht an. Dann rannte er weg, ohne noch ein Wort zu sagen.
Das Mädchen folgte ihm mit den Augen, so lange es ging. Ihre Stirn krauste sich, und dann pfiff sie gellend in den Hausflur hinein.
Wenig später kamen zwei Jungen zwischen 18 und 20 Jahren; der eine hatte noch die Bierflasche in der Hand. Sie machten wegen der Störung nicht gerade freundliche Gesichter, schienen aber doch so etwas wie Respekt vor dem Mädchen zu haben. »Los«, sagte das Mädchen einfach. »Mister Schlauberger war hier und hat nach Johnny gefragt. Und dann ist'er in der falschen Richtung davongerannt. Haut db, Freunde, und fühlt ihm mal auf den Weisheitszahn. Könnte sein, daß er Johnny verpfeift und die eigene Haut retten will!«
Die beiden Jungen knurrten, aber dann stellte der eine die Bierflasche in den Hausflur, nickte seinem Kameraden zu, und sie schwangen sich auf zwei Fahrräder, die an der Mauer lehnten, und fuhren schweigsam die Straße hinunter.
Das Mädchen blieb noch ein paar Sekunden an der Tür stehen. Dann ging es gleichmütig zurück in die Wohnung.
Währenddessen lief der Junge fast ziellos durch die Straßen. ‘Er sagte später, daß er immer nur nach dem Licht einer Polizeistation oder eines Telefons gesehen habe. Er sei völlig in die Irre geraten und habe sich kaum noch ausgekannt, nicht einmal in der Himmelsrichtung… auch das ist in einer Stadt wie New York ohne weiteres möglich, gerade bei Nacht.
Jedenfalls merkte er lange nichts von seinen beiden Verfolgern, die auf leisen Rädern durch die Straßen rollten ohne Licht und mit großer Vorsicht. Als er eine Querstraße überschritt, sah er gerade an der anderen Straßenecke zwei Leute auf Fahrrädern vesschwinden. Er wollte sie anrufen und nach dem nächsten Telefon oder Polizeimelder fragen, aber ehe er sich dazu entschlossen hatte, waren sie längst verschwunden.
Furcht stand ihm auf dem Gesicht geschrieben, und helle Schweißtropfen flossen von seiner Stirn, während er weiterhastete.
»Mein Gott«, flüsterte er tonlos, »ist denn hier nirgends ein Telefon? Hier muß doch ein Telefon sein! Und kein Licht!«
Er war immer tiefer in das Labyrinth der Lagerhäuser hineingeraten und stolperte jetzt zwischen den Speichern einer Gesellschaft herum, die längst Pleite gemacht hatte und die Gebäude langsam verkommen ließ. Selbst am Tage machte diese Gegend einen trostlos verlassenen Eindruck. Hier brannten nicht einmal Laternen denn die Straße wurde nicht mehr befahren.
Der Junge hielt an und starrte in die Dunkelheit. Vor dem helleren Himmel konnte er die Giebel der Lagerhäuser erkennen. Es fiel ihm ein, daß hier doch wenigstens ein Nachtwächter sein müßte, und er beschloß, ihn zu suchen. Leider wußte er nicht, daß selbst der Nachtwächter gekündigt hatte, als er keinen Lohn mehr bekam.
Der Junge kam zu einer verschlossenen Tür und rüttelte daran. Es hallte in dem hohen Innenraum des leeren Hauses wider, und das Echo brach sich an den entfernten Mauern einer leerstehenden Fabrik. Wieder donnerte er gegen das rostige Eisen; er hörte mit angespannten Sinnen im leeren Haus die Ratten quieken, sonst nichts. Ihn
Weitere Kostenlose Bücher